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Unter den Linden Nummer Eins

Unter den Linden Nummer Eins

Titel: Unter den Linden Nummer Eins Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Ebertowski
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seinen weißen Hemden und eine Krawatte spendieren, und dann setzen wir dich in den Zug nach Stettin zu Onkel Ewald.«
    »Moment mal, Moment!« Hans schüttelte energisch den Kopf.
    »Keine Widerrede!« Veras Augen blitzten. »Überleg doch mal! Ganz blöd sind die anderen ja auch nicht. Der Erich hat immer den Saalschutz bei euch organisiert. Meinst du, die haken da nicht nach, wer heute nacht der dritte Mann war? Nee, Kleener, du machst mal auf Luftveränderung, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Und jetzt ab in die Falle mit dir, siehst richtig grün um die Nase aus.«
    »Hau dich im kleinen Zimmer hin«, sagte Karl, »ich bring dir was zum Zudecken.«
    Vera gab ihm einen Kuß. Hans kam mit dem Verband gegen die Tischkante und verzog das Gesicht.
    »Und leg dich lieber nicht auf den Arm«, ermahnte Vera.
    Hans trottete davon. Karl holte eine Überdecke aus der Wäschetruhe und ging in das Balkonzimmer. Veras Bruder war vor Erschöpfung auf der Stelle eingeschlafen. Karl breitete die Decke über ihn und knipste das Licht aus.
    »Er schläft schon wie ein Stein.« Karl rückte zu Vera auf die Eckbank.
    Vera schmiegte sich an ihn. »Karl?«
    »Ja?«
    »Wo soll das bloß alles hinführen!«
    »Ich weiß es auch nicht. Viele meinen, daß von Papen und Hindenburg Hitler schon an die Kandare nehmen werden, aber so ganz will ich das auch nicht glauben. Die Nazis sind zu gerissen.«
    »Weißt du was, Karl, Deutschland kotzt mich an. Uniformen, Marschmusik, Paraden, und alle jubeln diesem Anstreicher zu. Können wir nicht irgendwohin auswandern, wo die eigene Bevölkerung sich nicht tagtäglich die Köpfe einschlägt, von mir aus nach Malta?«
    »Dort ist es zur Zeit auch nicht viel besser.« Karl legte den Arm um Vera. »Selbst da gibt es Faschisten. Denk nur an de Neva. Jonny hat mir geschrieben, er scheint einer der übelsten zu sein. Man nennt ihn bestimmt nicht grundlos den Piccolo Duce .«
    »Wo du de Neva sagst, Karl. Da fällt mir ein: Er hat mit Kassner kurz ins Oriental hereingeschaut. Und wenn ich jetzt genau darüber nachdenke, war das recht merkwürdig: beide sind nämlich auf der Stelle wieder gegangen, als sie die SA-Typen bemerkt haben. Sonst haben die sich doch immer zu denen gesetzt. Ja, wenn ich es richtig im nachhinein bedenke, hatte es fast den Anschein, als ob sie von den Besoffenen nicht zusammen gesehen werden wollten, so schnell sind sie wieder verschwunden. Kassner hatte auch wieder das Köfferchen dabei, aus dem ihm letztes Mal der Revolver gepurzelt ist.«
    »Hm, das ist in der Tat merkwürdig. – Holtsen und Randhuber sind nicht bei euch aufgetaucht?«
    »Nein.« Vera lehnte ihren Kopf gegen Karls Schulter. Karl berichtete ihr über Kassners Kontakte zu den Geheimen.
    »Überrascht mich nicht, Karl. Hast ja gehört, was Hans gesagt hat. Die und die Nazis. Das ist doch ein Brei und Kuchen.« Vera schloß die Augen. »Laß uns jetzt schlafen gehen, Karl. Ich bin hundemüde. War ein bißchen viel alles heute.«
    Als Karl die Nachttischlampe löschte, atmete Vera schon tief und ruhig. Es dauerte, bis auch Karl einschlafen konnte. Die grüne Aktentasche und die Millionenbrücke verfolgten ihn bis in die Träume.

3.
    H ANS REIST GEN O STSEE
    Am Tag nach dem Fackelzug hatte Karl frei. Vera mußte sich um die Mittagszeit mit den anderen Venduras zu einem Fototermin im Oriental treffen. Die Binders, konstatierte Karl, ließen sich auch in Krisenzeiten den Appetit nicht verderben. Hans verdrückte nach dem Aufstehen drei Spiegeleier mit Speck und seine Schwester das gleiche. Karl aß nur ein Marmeladenbrot. Vera ging sofort nach dem Frühstück zu ihren Eltern und informierte sie über die vergangene Nacht. Dann rief sie Onkel Ewald an. Onkel Ewald, der Bruder von Mutter Binder, besaß einen florierenden Landhandel bis nach Ostpreußen hinein, exportierte sogar Saatgut nach Skandinavien. » Klar kann der Junge kommen. Arbeit wird sich schon finden. «
    Sie begleiteten Hans zum Stettiner Bahnhof. Hans hatte die Pistole mitnehmen wollen, aber Karl hatte ihn davon abbringen können.
    Als Vera und Karl durch die Zinnowstraße zur Friedrichstraße gingen, saß Hans im Zug nach Stettin, frisch rasiert und mit drei Tageszeitungen in einem Abteil zweiter Klasse. Die Berichte über den Fackelzug und Bilder vom winkenden Hitler füllten die Seiten. Über die Schießerei auf der Millionenbrücke war in der Presse kein Wort zu finden gewesen.
    »Bin ich froh, daß er bei Onkel Ewald untergekommen

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