Unter den Sternen des Südens: Australien-Saga (German Edition)
fiel auch niemand ein, dem er sich hätte anvertrauen können, selbst wenn er gewollt hätte. Er war zwar mit vielen anderen Farmern befreundet, aber Amanda wusste keinen, mit dem er offen hätte reden können – außer mit Helena.
Amandas ganzer Ärger und Groll auf ihren Vater waren verraucht, und zurück blieb eine große Traurigkeit. Amanda war zu sehr in ihrer eigenen Trauer gefangen gewesen, zu stur und zu dickköpfig, um Brians stummen Hilfeschrei zu erkennen. Was sie zu der furchtbaren Frage führte: War ihr Vater ins Wasser gestürzt, oder war er gesprungen?
Aber sie versuchte, solche morbiden Gedanken schnell wieder zu verdrängen. Heute freute sie sich, ihren Streifgang durch die Natur zu machen, während sie hin und wieder stehen blieb, um die Buschblüten zu bewundern, die zu blühen begannen, und den Duft einzusaugen, der nach dem kurzen Regenschauer am Morgen sich intensiver entfaltete als sonst.
Sie schlenderte am Flussufer entlang, trat vorsichtig auf moosbedeckte Felsen, hielt Ausschau nach Flusskrebsen und beobachtete die Wasservögel. Sie kletterte auf den höchsten Punkt und betrachtete die Landschaft von oben. Ihr Hof war von hier aus wegen der dichten Vegetation nicht zu sehen, aber dafür hatte sie freien Blick auf Paringa auf der anderen Seite des Flusses. Adrians Hereford-Kühe grasten auf den mehrjährigen Wiesen, die Adrian am Ufer angelegt hatte. Er hatte große Teile seines Lands gerodet und in Weideflächen verwandelt, die allerdings so tief lagen, dass Amanda sich fragte, welche Folgen das in den kommenden Jahren für den Boden haben würde. Amanda wusste, dass ihr Großvater Michael sich immer dagegen gewehrt hatte, den Busch auf seiner Seite des Flusses zu roden, zunächst, weil er dem Vieh als Schutz diente, später aus Angst vor einer Versalzung der Böden, wenn der Grundwasserspiegel stieg.
Amanda wandte leicht den Kopf und sah drüben plötzlich etwas, das in der Sonne reflektierte, ein Stück entfernt vom Fluss. Sie spähte angestrengt hinüber, bis ihr klar wurde, dass es Adrians Haus war. Ihr war nicht bewusst gewesen, dass es so dicht am Wasser lag.
Sie ließ den Blick schweifen und versuchte, die Landschaft zu betrachten, als wäre sie zum ersten Mal hier. Plötzlich beschäftigte sie ein Gedanke.
Der Zaun.
Amanda kletterte auf der anderen Seite des Felsens hinunter zu dem kleinen Naturschutzgebiet, das ihr Vater vor zwanzig Jahren abgezäunt hatte, wie er ihr erzählt hatte.
Sie musterte den Zaun. Er war alt und verrostet. Maschendraht? Handgeschnitzte Pfosten aus Bushy Yate und Teebaumholz? Das war heute längst nicht mehr üblich, schon seit vierzig, fünfzig Jahren nicht mehr. Amanda fiel ein, dass sie im Tagebuch ihres Großvaters gelesen hatte, wie begeistert er von den neuen Weidezäunen war, die damals in den Fünfzigerjahren aufkamen. Er hatte daraufhin die alten Zäune ersetzt durch Drahtseile, Stahlverbindungen und Steckpfosten aus Wandoo-Holz. Diese Buschlandschaft konnte demnach keine ehemalige Nutzfläche sein. Der Zaun war viel zu alt.
Amanda legte nachdenklich den Kopf schief, dann bahnte sie sich einen Weg in das Dickicht, um sich näher umzusehen.
Nach einer Weile bekam sie eine Ahnung davon, wie beschwerlich es für die ersten Siedler gewesen sein musste, sich durch das dichte Buschwerk zu kämpfen. Bald waren ihre Arme und Beine zerkratzt von den scharfen Blättern und Blütenkolben der Banksien. An manchen Stellen war das Gebüsch so dicht, dass Amanda nicht weiterkam und umkehren musste, um sich einen neuen Weg zu suchen. Auf dem Boden lag eine dicke Schicht aus Laub und Gehölz, und es war bis auf vereinzelte Vogelschreie unheimlich still.
Während sie sich vorankämpfte, stieß sie plötzlich auf einen kleinen Graben aus Natursteinen, eine Art Abflussrinne. Neugierig folgte sie dem Graben in der Annahme, dass er zum Fluss zurückführte, aber stattdessen betrat sie kurz darauf eine Lichtung mit einer alten Hütte, wo der Graben in ein Auffangbecken mündete, das ebenso aus Natursteinen angelegt worden war.
Überrascht ging Amanda um die Hütte herum und entdeckte einen eingezäunten Garten und daneben Maulbeerbäume, alt, aber immer noch in Blüte. Hinter dem verrosteten Gartentor spross Schnittlauch in die Höhe. Amanda vermutete, dass dies der ehemalige Gemüsegarten war.
Sie spürte ein Kribbeln unter der Haut. Bestimmt war sie die Einzige, die von der Hütte wusste. Die Wände waren aus Blech und mit dicken Holzlatten
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