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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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hier, richtig herbstlich schon, womit ich gar nicht gerechnet hatte. Ich dachte, in ganz Südamerika würde man so braten wie in Rio. Da siehst Du es: Reisen bildet. Was ich noch gelernt habe: Rindfleisch der höchsten Qualität bekommt man hier fast umsonst, was für uns kriegsgebeutelte Franzosen ein ganz neues Lebensgefühl ist. Ich muss mindestens eine Tonne zugenommen haben.
    Ich freue mich auf unsere Rückreise, die uns durch Chile führen wird, und auf unsere Rückkehr nach Rio. Bestimmt vertragen wir uns dann wieder besser … es lag an diesem ewigen Regen, glaube ich. Wenn die Sonne wieder scheint und wir ein rauschendes Hochzeitsfest feiern, wird uns das all unsere kleinen Streitigkeiten vergessen lassen.
    Grüß mir alle recht herzlich und drück mir die Daumen, dass wir in Chile nicht schon vom Frost überrascht werden. Man sagte uns nämlich, dass es dort Berge gibt und im Winter Schnee. Abscheulich, oder?
    Viele Küsse schickt Dir
    Deine Marie
     
    Ana Carolina legte den Brief lächelnd beiseite. Das war Marie, wie sie leibte und lebte. Sie sprach vom Wetter, von ihrer Figur, vom Tanzen und von gutaussehenden Männern. Das waren die Grundpfeiler ihrer Existenz, und irgendwie hatte diese unverfälschte Oberflächlichkeit auch etwas Tröstliches. Einen Augenblick lang sinnierte sie über die Theorie mit dem kalten Wetter und den heißen Phantasien. Sie hielt sie für Humbug. Die meisten Hochkulturen vergangener Epochen waren in wärmeren Gefilden erblüht, und der Erotik war Hitze ebenfalls zuträglicher als kaltes Wetter. Sie hatte es an sich selber beobachten können. An schwülen Sommertagen wuchsen Lust und Leidenschaft. Das beste Beispiel dafür war ja jener Tag im Karneval, als … Oh nein, nicht schon wieder daran denken!
    Aber es war so schwer,
nicht
daran zu denken. Sie sehnte sich mit jeder Faser ihres Körpers nach António, nach seiner Umarmung, seinen Küssen, und ja, auch nach dem Akt der fleischlichen Verschmelzung, der so triebhaft und wild gewesen war und dabei so überwältigend. Wenn sie nachts allein im Bett lag und sich erotischen Phantasien hingab, hatte sie dabei nicht ihren Verlobten vor Augen, sondern António. Wenn sie ein Flugzeug am Himmel sah, fiel ihr sofort António ein und der schöne Tag, als sie gemeinsam geflogen waren und sich anschließend geküsst hatten. Und wenn der Postbote kam, hoffte sie, es möge wieder ein Brief von António dabei sein, den sie dann doch ungelesen wegwerfen würde. Dass seit Wochen keine Post von ihm gekommen war, hätte ihr eigentlich helfen sollen, ihn zu vergessen, wie sie es sich ja auch vorgenommen hatte. Sie hätte sich freuen müssen, dass ihr Schweigen und die damit verbundene Botschaft nun endlich bei ihm angekommen zu sein schienen. Doch das Gegenteil war der Fall. Sie verging vor Eifersucht.
    Immer wieder stellte sie sich vor, wie er die andere Frau küsste, streichelte und begehrte. Sie malte sich in selbstquälerischer Verzweiflung alle Einzelheiten seiner Liebesnächte mit der unbekannten anderen aus, wahrscheinlich jener, die er ihr vorgezogen und geheiratet hatte. Ob er sie mit derselben Inbrunst nahm, wie er es bei ihr getan hatte? Ob sie unter seinen kraftvollen Stößen ebenso erbebte wie sie? Ana Carolina hasste sich für diese Gedanken, aber sie gab sich ihnen bewusst hin. Manchmal zog sie sich abends schon früher aus dem Salon zurück, nur um allein auf ihrem Zimmer zu sein und diese abscheulichen Visionen heraufzubeschwören. Sie hatte sich sogar das Grammophon aus dem Salon mit hinaufgenommen, nur um immer und immer wieder die Platte mit dem beliebten Karnevalslied zu hören, bei dem sie jedes Mal an António denken musste. Und obwohl sie wusste, wie dumm und sinnlos ihr Handeln war, konnte sie sich nicht daran hindern.
    Auch jetzt war sie wieder in einer solchen Stimmung. Wie gut, dass Marie und Maurice in Kürze eintrafen. Sie würden sie ablenken. Sie hatten ihre Ankunft mit dem 16 -Uhr-Zug aus São Paulo telefonisch mitgeteilt, so dass Ana Carolina sich schon sehr bald auf den Weg zum Bahnhof machen musste. Da Henrique mit seinen Baustellen alle Hände voll zu tun hatte, würde er erst am Abend dazustoßen. Aber das war vielleicht ganz gut so. Das sinnentleerte Geplapper Maries, nach dem Ana Carolina sich im Moment so sehr sehnte, war nichts, worauf Henrique besonders erpicht war. Und sie selber war nicht sehr erpicht auf allzu viele Stunden in Gesellschaft Henriques. Er wirkte – unwissentlich – wie ein

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