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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sondern deiner.«
    Joana setzte bei diesem kleinen Wortwechsel ein wissendes Lächeln auf, das Vitória zur Weißglut trieb. Sie wusste, was Joana durch den Kopf ging.
Manche Dinge ändern sich nie.
    Wie schön, mochte Joana denken. Leider, fand Vitória.
    Plötzlich fiel ihr auf, dass die jungen Leute gar nicht mehr so laut lachten. Sie lauschte mit einem Ohr und erstarrte.
    »Nein, er hat überlebt. Er liegt schwer verletzt im Hospital«, sagte Henrique mit düsterer Stimme.
    »Das ist ja schrecklich«, sagte Marie mit völlig unpassender Munterkeit. »Aber ich denke, wer sich auf solche Sachen einlässt und sich freiwillig in Gefahr begibt, sollte auch jederzeit damit rechnen, dass etwas passiert. Ein Pilot fordert sein Schicksal ja geradezu heraus. Ich habe wenig Mitleid mit deinem Freund, Henrique, so grausam das auch klingen mag.«
    Dein Freund?, dachte Vitória erschrocken. Dieser Carvalho-Bursche war ein Freund Henriques? Das erklärte einiges. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie scharf die Reaktion Ana Carolinas auf diese Nachricht. Was sie sah, erschütterte sie zutiefst. Mit Erblassen hatte sie gerechnet, oder mit hektischem Schlucken, eventuell auch mit fahrigem Herumfingern an der Serviette – nicht aber damit, dass Ana Carolina und León einander vielsagende Blicke zuwarfen. Was hatte das zu bedeuten? Teilten die beiden ein Geheimnis – jenes vielleicht, das sie mit Hilfe eines Detektivs aufgeklärt zu haben glaubte?
    Dann stand Ana Carolina plötzlich auf und verließ den Raum ohne ein Wort der Entschuldigung. Vitória sah León stirnrunzelnd an. Er hatte ihr einiges zu erklären.
    Henrique dagegen schien von dem abrupten Weggehen seiner Verlobten gar nichts mitbekommen zu haben. Er starrte Marie wütend an und sagte mit zitternder Stimme: »Du bist die egoistischste und oberflächlichste Person, die mir je begegnet ist, Marie. So grausam das auch klingen mag.«
    Es war das erste Mal, dass Vitória ihn eine so böse Bemerkung machen hörte. Er stieg sofort in ihrer Achtung.
    Unglücklicherweise war es jedoch ebenfalls diese Bemerkung, die der bis dahin fröhlichen Stimmung einen argen Dämpfer verpasste.
    Das Dessert nahmen alle schweigend ein.

26
    A ntónio hatte ausdrücklich nur seinem Vater gestattet, in seiner Wohnung nach dem Rechten zu sehen und ihm seine Post mitzubringen. Die Vorstellung, dass seine Mutter in sämtliche Schubladen schaute und womöglich mit einem Dienstmädchen zurückkehrte, um alles in Ordnung – in ihre Ordnung – zu bringen, ließ ihn schaudern. Nicht, dass er etwas zu verbergen gehabt hätte. Aber seiner Mutter einen Rückfall in ihre Gluckenhaftigkeit zu erlauben, von der zu befreien ihn viel Zeit gekostet hatte, wäre ein Fehler gewesen. Er war fast dreißig Jahre alt, und sie behandelte ihn plötzlich wieder, als wäre er drei. Da war es schon besser, seinen Vater in die Pflicht zu nehmen, der ihm auch brav alle Post ins Hospital brachte. So konnte António im Krankenhaus seine Fachzeitschriften lesen und die Briefe, die ihn aus aller Welt erreichten. Anscheinend hatte sein Absturz sich in Fliegerkreisen schnell herumgesprochen. Viele fragten ihn nach der Ursache des Unglücks, doch António hatte nach wie vor keinerlei Erinnerung daran.
    Die Vorstellung, seine Kollegen könnten ihn für leichtsinnig oder, noch schlimmer, für unfähig halten, war ihm zuwider. Er hätte gern behaupten können, dass er einen Motorschaden gehabt hatte, doch die Beobachtungen der Fischer widerlegten diese Theorie. Ein Flugzeug, dessen Motor ausfällt, stürzt nicht seitwärts steil nach unten, schon gar nicht an einem sonnigen, windstillen Tag. Meist gleitet es noch eine ganze Weile, so dass der Pilot versuchen kann notzuwassern. Ob er einen
stall
herbeigeführt und dann das Seitenruder geklemmt hatte? Ob er in dem entscheidenden Moment, in dem er das Pedal hätte treten sollen, einen Krampf bekommen hatte? Alle diese möglichen Erklärungen klangen unwahrscheinlich. Er neigte nicht zu Krämpfen, und sein Flugzeug war in tadellosem Zustand gewesen. Zumindest war es das zwei Wochen vor dem Unglücksflug gewesen – an die Zeit danach hatte er keinerlei Erinnerung. Es war schrecklich. Es zermürbte ihn.
    Schließlich kam ihm noch eine andere Idee, grauenhafter als alle bisherigen Hypothesen zu seinem Absturz: Hatte er versucht, Selbstmord zu begehen? Der letzte Tag, an den er sich erinnern konnte, war von schwermütigen Gedanken geprägt gewesen, von Hoffnungslosigkeit und

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