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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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sich kümmern musste. Wenn seine Mutter allmählich hinfällig wurde, dann konnte er sie unmöglich allein der Obhut Neusas anvertrauen. Hinter dem Unvermögen seiner Mutter, aufzustehen, vermutete Neusa nur Unwillen und Faulheit, beides Eigenschaften, die man Dona Fernanda nun wirklich nicht nachsagen konnte. Vielleicht konnte Bel sich um ihre Großmutter kümmern?
    »Und wo steckt Bel?«, fragte er.
    »Die junge Dame geruht noch zu schlafen«, sagte Neusa sarkastisch. »In ihrem Zustand braucht die Ärmste natürlich viel Ruhe.«
    Bevor seine Frau sich ein weiteres Mal in etwas hineinsteigerte, was bisher nur in ihrer Phantasie existierte, ergriff Felipe die Flucht.
     
    In der Firma erwartete ihn ein widerlich hoher Aktenberg, den es abzuarbeiten galt, außerdem ein klingelndes Telefon sowie die vorwurfsvollen Gesichter seiner Sekretärin und seines Besuchers, des Einkäufers einer großen Druckerei. Er entschuldigte sich knapp für seine Verspätung und widmete sich dem Mann nur mit halber Konzentration. Er war derart erleichtert, als der Einkäufer endlich ging, dass er nicht einmal das für ihn unvorteilhafte Geschäft bedauern konnte, zu dem er sich aus Ungeduld hatte hinreißen lassen. Mit Anrufern und Dokumenten verfuhr Felipe an diesem Vormittag ähnlich – er fertigte sie schnell ab und war dabei ungewohnt fahrig und nachlässig.
    Gegen Mittag brachte ihm seine Sekretärin eine fettige Papiertüte mit frittierten
salgadinhos
aus einem nahe gelegenen Imbiss. Gedankenlos begann er, die herzhaften Happen zu verschlingen, als er merkte, dass seine Sekretärin noch immer in der Tür stand.
    »Ja?«
    »Draußen wartet ein etwas zwielichtiger Bursche. Er weigert sich zu gehen, obwohl ich ihm gesagt habe, dass Sie nicht zu sprechen sind.«
    »Was will er denn?«
    »Das ist es ja eben: Er sagt es mir nicht. Er behauptet, es handele sich um eine Familienangelegenheit.«
    »Hat er wenigstens seinen Namen genannt?«
    »Augusto dos Santos.«
    »Bringen Sie ihn her.«
    Während Felipe sich seine öligen Finger notdürftig an einer Papierserviette säuberte, brachte die Sekretärin mit beleidigtem Gesicht den Jungen herein. Sie sah aus, als sei es weit unter ihrer Würde, sich mit halbstarken Burschen von dubiosem Aussehen abzugeben, und sei es auch nur auf so flüchtige Weise wie jetzt. Felipe musterte Augusto, ohne eine Miene zu verziehen, konnte seiner Mitarbeiterin ihre Skepsis aber nicht verdenken: Der Junge sah aus wie jemand aus einem Elendsviertel, der sich für das wichtige Gespräch fein gemacht hatte, und zwar mit dem geliehenen Hochzeitsanzug eines Verwandten, der einen Kopf kleiner und dreißig Jahre älter als er sein musste.
    »Augusto, mein Freund, was führt dich her?«, fragte Felipe und deutete mit der Hand auf den Besuchersessel vor seinem Schreibtisch.
    »Tja, also, das ist vertraulich«, murmelte Augusto mit einem Seitenblick auf die Sekretärin, die neugierig in der Tür stehen geblieben war.
    »Sie können jetzt Ihre Mittagspause machen«, sagte Felipe zu ihr. »Draußen.«
    Sie starrte ihn entsetzt an, als habe er ihr einen unsittlichen Antrag gemacht. Dann zog sie von dannen.
    »Na, jetzt bin ich aber gespannt«, meinte Felipe in väterlichem Ton, der ihm nicht so recht gelang. Seine joviale Freundlichkeit wirkte bemüht – in Wahrheit hätte er Augusto schütteln mögen, denn er brannte darauf, alles über Bel und ihre merkwürdige Verwandlung zu hören, und zwar schnell. Denn nur darum konnte es gehen. Bel war die einzige Verbindung zwischen ihm und diesem Jungen.
    »Es geht um Bel«, begann Augusto.
    »Was du nicht sagst.«
    Die Ironie in Felipes Stimme schien an Augusto völlig abzuprallen, denn er fuhr stotternd fort: »Ja. Also, inzwischen müsste sie ja schon wieder bei Ihnen zu Hause eingetrudelt sein. Da hat sie Ihnen vielleicht erzählt, was mit ihr los ist.«
    »Nein, das hat sie leider nicht getan. Wenn du mehr darüber weißt, wäre ich dir sehr verbunden, wenn du es mir ohne Umschweife erzählen würdest.«
    »Ich weiß nicht so recht, wie ich es sagen soll …«
    Felipe verdrehte die Augen. Er hatte den Jungen klüger und gewandter eingeschätzt. Im Augenblick jedoch machte er den Eindruck eines Schwachsinnigen. »Lass dir Zeit«, forderte Felipe ihn mit einem gequälten Lächeln auf.
    »Also, Bel hatte dieses Engagement, im ›Casa Blanca‹. Und da hat sie gesungen und getanzt, wie eine Göttin sah sie aus, ich schwöre es. Sie hatte mir nämlich einen Tisch besorgt.«

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