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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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distinguierte Herren den Geburtstag von einem aus ihrer Runde in einem Café-Theater namens ›Casa Blanca‹ gefeiert.« Felipes Stimme zitterte vor unterdrücktem Zorn. Er schluckte und holte tief Luft, bevor er mit seinem Resümee der Ereignisse fortfahren konnte. »Sie waren von der Darbietung einer Bühnenkünstlerin so angetan, dass sie ihr in der Garderobe ihre Aufwartung machten. Leider gaben sie sich nicht damit zufrieden, ihr Komplimente zu machen.« An dieser Stelle schluckte Felipe abermals. Es fiel ihm schwer, über das Geschehene, so wie er es sich dank Augustos Schilderungen zusammenreimte, in neutralem Ton zu sprechen. Am liebsten hätte er dabei geweint.
    »Einer der Männer hielt vor der Tür Wache. Drei der Männer haben die junge Frau gefesselt und geknebelt und sind wie Tiere über sie hergefallen. Der vierte Mann im Raum hat zwar nicht an diesem Verbrechen teilgenommen, hat aber die ganze Zeit zugesehen.«
    »Das ist entsetzlich«, sagte Vitória erschüttert.
    »Das Opfer war meine Tochter. Sie war kein Flittchen, sondern sie war noch Jungfrau. Sie war voller Optimismus und Leidenschaft. Jetzt ist sie eine gebrochene Frau.«
    »Das … das tut mir unendlich leid für sie«, sagte Vitória leise. Und sie meinte es auch. Das war eine schreckliche Geschichte. Dennoch gewann ihr angeborener Überlebensinstinkt die Oberhand, und sie fragte: »Was habe ich damit zu tun? Das ist ein Fall für die Polizei.«
    »Sie selber haben damit nichts zu tun, werte Dona Vitória. Aber Ihr künftiger Schwiegersohn dafür umso mehr. Ich wollte nur, dass Sie das wissen. Ich bin überzeugt, dass die Strafe, die Sie sich für ihn ausdenken, schlimmer ist als die anerkennenden Schulterklopfer, mit denen er auf der Wache zu rechnen hätte, oder die Herrenwitze, die er sich von den Polizisten anhören müsste.«
    »Und woher wollen Sie wissen, dass Henrique überhaupt involviert war? Bestimmt liegt da eine Verwechslung vor.«
    »Fragen Sie ihn.« Mit einer knappen Verbeugung verabschiedete Felipe sich.
     
    Oh ja, sie würde ihn fragen! Im ersten Stock saß Ana Carolina mucksmäuschenstill auf dem Balkon des Gästezimmers und war starr vor Schock. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Was war das für eine grauenhafte Geschichte?
    Sie hatte sich mit einem neuen Roman, »Siddharta« von einem deutschen Dichter namens Hesse, auf den Balkon gesetzt, die vorübergehende Ruhe genossen und sich ihrem Buch gewidmet. Marie hatte es ihr mitgebracht, gottlob nicht auf Deutsch, sondern in französischer Übersetzung. Sie und Maurice waren in ihrer unendlichen Vergnügungssucht ins Kino gegangen – Bücher lasen beide ungern, verschenkten sie aber häufig, um sich einen intellektuellen Anstrich zu geben, denn der galt gerade als
très chic.
    An ein Fortsetzen der Lektüre war nun jedoch nicht mehr zu denken.
    Henrique ein Vergewaltiger?
    Unmöglich. Ganz und gar ausgeschlossen.

28
    U nser Haus ist der reinste Rummelplatz«, beschwerte Ana Carolina sich. »Marie und Maurice, Tante Joana und ihr Mann, demnächst kommt auch noch meine Großmutter aus Portugal dazu. Dann wird es richtig aufregend – sie und meine Mutter können einander nämlich nicht leiden. Ich hoffe nur, dass
avó
 – Großmutter – noch genügend gesunden Menschenverstand besitzt, um in ein Hotel zu gehen, wie ich es ihr geraten habe.« Das war es eigentlich nicht, worüber Ana Carolina mit Henrique hatte reden wollen. Doch sie wusste nicht, wie sie das Thema anschneiden sollte. Also begann sie erst einmal mit Klagen über die kleinen alltäglichen Sorgen.
    »Ach, deine Großmutter kommt auch? Sie stand gar nicht auf der Gästeliste.« Henrique schaute seine Verlobte fragend an.
    »Nein, Dona Vitória hat ›vergessen‹, sie draufzusetzen. Ihre eigene Mutter, Henrique! Kann man noch herzloser sein? Ich habe sie eingeladen. Dona Alma ist eine reizende alte Dame. Sie geht auf die neunzig zu, doch als ich sie zuletzt gesehen habe, wirkte sie sehr rüstig. Heutzutage ist eine Atlantikpassage ja lange nicht so anstrengend wie früher. Ich denke, sie wird es gut überstehen.«
    »Bestimmt wird sie das. Glaubst du, sie ist mit der Wahl deines Bräutigams einverstanden?«, fragte er augenzwinkernd.
    Wenn sie wüsste, was ich weiß, wäre sie es bestimmt nicht.
Ana Carolina ließ die Gelegenheit verstreichen, Henrique zur Rede zu stellen. Sie wusste nicht, wie sie das Thema ansprechen sollte, das ihr mehr als nur Kopfzerbrechen bereitet hatte, das sie schockiert

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