Unter den Sternen von Rio
Augusto hielt kurz inne. Er war doch sonst nicht so ein Stoffel – warum brachte er es jetzt nicht fertig, eine zusammenhängende Geschichte zu erzählen? »Also, der Applaus war ohrenbetäubend, und dann gab sie noch eine Zugabe. Danach ging sie in ihre Garderobe. Und wenig später wollte ich sie dort besuchen und ihr gratulieren, zu ihrem tollen Auftritt, wissen Sie.«
Felipe gab ein zustimmendes »hmhm« von sich und nickte. Ihm schwante Übles.
»Aber da war ein Kerl vor der Tür, und der hinderte mich daran, zu ihr zu gehen. Er hat mich schlimm verprügelt, hier, sehen Sie?« Augusto schob den Ärmel seines fadenscheinigen Jacketts hoch und zeigte eine Bisswunde her. »Das ist noch von dem Abend. Also, was ich eigentlich sagen will, ist, dass ich es nicht verhindern konnte.«
»Was?«
»Das … den … eh, Übergriff auf Bel.«
»Was für einen Übergriff? Was genau ist passiert?«
»Sie waren zu viert«, stammelte Augusto. »Plus der vor der Tür. Ich hatte keine Chance. Und Bel auch nicht.«
»Du willst doch nicht etwa sagen, dass …?«, fragte Felipe verstört.
»Doch«, bestätigte Augusto die Vermutung und senkte verlegen den Blick.
»Jesusundmaria, steh dem armen Kind bei!«, brach es aus Felipe hervor. Er schlug die Hände vors Gesicht. Sein ganzer Körper bebte unter leidenschaftlichen Schluchzern, doch Tränen wollten keine kommen.
»Ich fand, dass Sie das wissen sollten«, sagte Augusto, dem dieser Ausbruch peinlich war und der sich deswegen verschämt in Richtung Tür bewegte. Er musste hier raus, sonst würde er auch noch losflennen.
»Bleib!«
»Ich … mich trifft keine Schuld, ehrlich. Ich wollte ihr helfen, aber der Kerl war stärker als ich.«
»Ich mache dir doch gar keine Vorwürfe. Komm, setz dich wieder. Willst du eine Tasse Kaffee? Oder etwas Stärkeres? Warte mal, ich glaube, ich habe hier noch irgendwo einen Rest Brandy.« Felipe lief nervös im Raum herum, riss alle Schranktüren auf und beförderte schließlich zwei staubige Gläser und eine fast leere Flasche zutage. Er verteilte den Inhalt gleichmäßig, kippte seinen eigenen Brandy in einem Zug hinunter und setzte sich dann wieder. Diesmal klang er ein wenig gefasster, als er Augusto ansprach. »Ich will, dass du mir alles berichtest, was du weißt. Wer waren diese Männer? Würdest du sie wiedererkennen? Würde Bel sie der Polizei beschreiben können?«
»Sie will ums Verrecken nicht zur Polizei«, sagte Augusto, bevor ihm seine unangemessene Redeweise auffiel. »Verzeihen Sie, ist mir so rausgerutscht.«
»Warum nicht?«
»Sie glaubt, dass in den Augen der Männer ein farbiges Revue-Mädchen sowieso immer Schuld hat, wenn ihr so was passiert.«
Da war etwas dran, dachte Felipe. Leider. Vergewaltigte Frauen und Mädchen wurden nur allzu oft abermals Opfer einer Schändung, einer seelischen gewissermaßen, wenn sie sich den lüsternen Fragen der Polizisten stellen mussten.
»Aber …«, begann Augusto.
»Ja?«
»Aber wir haben einen Namen. Von einem der Männer, die in der Garderobe waren.«
»Was denn, Junge, muss ich dir den Namen aus der Nase ziehen?«, rief Felipe ungeduldig.
»Henrique Almeida Campos. Sie ist sich da aber nicht hundertprozentig sicher, er könnte auch Henrique Almeida Santos geheißen haben. Bel sagt aber, er hat sich als Einziger nicht an ihr vergriffen, sondern nur zugeguckt.«
»Das ist ja fast noch schlimmer! Wenn man als Einziger in einer Gruppe nüchtern ist oder aus anderen Gründen über mehr Vernunft verfügt, hat man die Pflicht, seine Freunde oder Kameraden von kriminellen Handlungen abzuhalten.« Felipe holte kurz Luft, um dann nachdenklicher und in sich gekehrt weiterzusprechen. »Henrique Almeida Campos, sagst du? Der Name kommt mir irgendwie bekannt vor.«
»Ja, das ging Bel auch so. Deswegen habe ich mich ein bisschen umgehört.«
»Ja?«
»Bei Leuten, die die Klatschspalten lesen und so.«
»Augusto, rück schon raus mit der Sprache, bevor ich mich vergesse!«
»Es ist ein reicher Schnösel, der demnächst die Tochter von Vitória Castro da Silva heiraten wird. Diese Baulöwin, wissen Sie? Deshalb stand er auch in der Zeitung.«
Felipe war wie betäubt. Diese Information musste er erst einmal verdauen.
»Was machen wir mit ihm?«, fragte Augusto mit großen Augen. Er sah aus wie ein Junge, der sich auf die Gelegenheit freute, endlich einmal wieder jemanden zu verprügeln.
»Vorerst nichts. Lass mich in Ruhe darüber nachdenken.«
Als Augusto keine
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