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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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jedem erkannt wurden. Sie waren sich selbst genug und hatten es nicht nötig, wie so viele andere Menschen in der gehobenen Gesellschaft Rios, andauernd nach bewundernden Blicken Ausschau zu halten. Sie hatten Stil. Sie waren jung, schön und reich. Sie waren wunderbar. Und sie liebten sich.
    Ana Carolina empfand einen schmerzhaften Stich im Herzen. Sie hatte das immer für eine Metapher gehalten, eine abgedroschene Redewendung. Doch nun stellte sie fest, dass die Eifersucht ihr tatsächlich einen körperlichen Schmerz verursachte, als stieße ihr jemand einen Dolch genau in die Brust. Mit ungeahnter Klarheit sah sie plötzlich, was sie all die Monate, wenn nicht gar die Jahre seit Paris, nicht hatte wahrhaben wollen: Sie liebte António. Sie hatte es vom ersten Moment an getan.
    »Weißt du was, Schatz? Ich mag nicht länger hierbleiben. Wir haben ja unserer Pflicht Genüge getan, und wegen eines Jahresabonnements fürs Radio, das wir gewinnen könnten, müssen wir nicht bleiben. Was denkst du?« Vitória hatte den abrupten Stimmungswechsel ihrer Tochter bemerkt, dessen Ursache ihr leider allzu bekannt war.
    Der Admiral, dessen Gehör Vitória unterschätzt hatte, gab ihr Schützenhilfe: »Ja, Senhorita Ana Carolina, Sie sehen plötzlich gar nicht gut aus. Vielleicht ist Ihnen das Essen nicht bekommen? Oder sind Sie so viel Wein nicht gewohnt? Mir zuliebe brauchen Sie die Tombola jedenfalls nicht mehr abzuwarten, sie ist ohnehin nur so eine Erfindung, damit die Damen sich einreden können, sie seien mit irgendetwas Sinnvollem beschäftigt.«
    Er entlockte Ana Carolina ein leises Kichern. »Sie, lieber Admiral, waren sowieso der Hauptgewinn des Abends.«
     
    Tage später erfuhr Vitória, dass die Admiralsgattin, der sie ihre teuren Lose geschenkt hatte, das Perlencollier gewonnen hatte. So ein Glück! Wären sie bis zum Ende geblieben, hätten sie oder ihre Tochter nach vorn gehen müssen, um das kostbare Stück in Empfang zu nehmen. Und dann hätte António mit Sicherheit Ana Carolina gesehen.
    Manchmal zahlte sich Großzügigkeit eben doch aus.

29
    D as »Hotel Glória« war, bevor das »Copacabana Palace« gebaut wurde, das luxuriöseste Hotel Rios gewesen. Doch auch das »Gloria« hatte erst vor wenigen Jahren eröffnet, nämlich 1922 anlässlich der Weltausstellung, und war daher ein Muster an Modernität und Eleganz. So war es zum Beispiel das erste Hotel in Südamerika gewesen, in dem alle Zimmer und Suiten über ein Telefon sowie ein eigenes Bad verfügten. Diese exquisite Herberge hatte sich Dona Alma ausgesucht, um darin für die kurze Dauer ihres Aufenthaltes in Brasilien zu residieren.
    Es lag nur wenige Gehminuten vom Haus ihrer Tochter und deren Familie entfernt, so dass Ana Carolina, Dona Almas Enkelin, jederzeit hinübergehen und ihrer Großmutter Gesellschaft leisten konnte. Seit drei Tagen tat sie das ausgiebig. Portiers und Rezeptionisten des Hotels, und zwar sowohl die der Früh- als auch die der Spätschicht, kannten die Besucherin der alten Dame inzwischen schon so gut, dass sie sie herzlich mit Namen begrüßten. Sie fanden es rührend, dass sich die junge Schönheit so liebevoll um ihre Großmutter kümmerte, eine Dame, die als Hotelgast nicht gerade ihrer Idealvorstellung entsprach. Dona Alma war äußerst wählerisch, nörgelte viel und gern herum, und sie triezte die Hausmädchen mit ihren Sonderwünschen und übertriebenen Vorstellungen von Hygiene. Jedenfalls tat sie das, wenn sie allein war. Kaum war ihre entzückende Enkelin zu Besuch, wurde aus dem alten Drachen eine bezaubernde, umgängliche Dame, der man ein paar Altersschrullen gern nachsah.
    Heute empfing Dona Alma ihre Besucherin nicht in ihrer Suite, sondern sie saß bereits ausgehfein im Foyer und wartete dort auf Ana Carolina. Sie war gekleidet wie zur Jahrhundertwende, mit einem langen dunklen Rock, hochgeschlossener weißer Bluse und einem ausladenden Hut, und blickte sehr feierlich drein. Sie war stolz, dass Ana Carolina sie hier zu einer Stadtrundfahrt abholte. Dass ihre geliebte Enkelin selber den Wagen kutschieren würde, war in Dona Almas Augen natürlich der Gipfel der Verwegenheit – aber ein wenig genoss sie auch die Vorfreude auf das Abenteuer. Sie hielt zwar nichts von den Freiheiten, die die jungen Frauen heute genossen, doch wenn sie selber davon profitierte, hielt sie sich gern einmal mit ihrer Kritik zurück.
    Sie saß mit kerzengeradem Rücken auf einem der höheren Sessel in der Halle – aus den

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