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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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ich mir schon gedacht habe, dass du kaum Hunger hast. Wovon auch, wenn man den ganzen Tag im Bett rumlümmelt.«
    Bel zwang sich, einen kleinen Löffel aus dem Topf zu nehmen und ihn zu essen. Sie wusste es zu würdigen, dass ihre Mutter ihr zuliebe
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gekocht hatte – es war für Dona Neusas Verhältnisse die reinste Liebeserklärung, selbst wenn sie es mit spitzen Bemerkungen garnierte.
    »Was du brauchst, ist Arbeit. Davon bekommst du wieder Hunger – es ist ja kein Wunder, dass es dir nicht gutgeht, bei den winzigen Portionen, die du isst. Und bei der Arbeit vergisst du dann auch den dummen Kerl, der dich so unglücklich macht. Wenn wir fertig sind mit dem Essen, kannst du deshalb die Katze suchen und ihr eine Schale Sahne hinstellen.«
    Bel blickte auf, und ein wenig Interesse flackerte in ihrem Blick auf.
    »Ja«, beantwortete Dona Neusa die ungestellte Frage, »Lulu hat schon wieder ein Tier gerettet. Aber gegen Katzen habe ich nichts, die machen weder Arbeit noch Dreck, sondern machen sich sogar nützlich. Es ist ein potthässliches Tier, mager wie du, räudig, mit einem gelblichen Fell und einem abgenagten Ohr. Sie hört auf den Namen Tchatcha. Keine Ahnung, wer da draufgekommen ist.«
    Bel nickte. Das klang nach einer Aufgabe, die zu bewältigen war.
    Als sie mit ihrem frugalen Mahl fertig waren, standen Mutter und Tochter gleichzeitig auf, um abzuräumen und das Geschirr zu spülen. Bel stellte sich unaufgefordert neben ihre Mutter und nahm die abgewaschenen Teller entgegen, um sie abzutrocknen. Das hatte sie ewig nicht mehr getan, und Dona Neusa nahm es mit einem befriedigten Nicken zur Kenntnis.
    Danach ging Bel in den kleinen Hof ihres Hauses und rief die Katze. Vor dem Haus mochte sie sie nicht rufen. Sie wollte nicht, dass vorbeigehende Nachbarn sie dort sahen, sie womöglich ansprachen und mitleidige Fragen stellten. Doch selbst der Gang in den Hof kostete sie bereits viel Überwindung. Sie fühlte sich, wie jemand sich fühlen musste, der seit 48  Stunden auf den Beinen war und ohne Unterbrechung geschuftet hatte – und das, nachdem sie nur geschlafen und eine Kleinigkeit gegessen hatte. Sie setzte sich auf die Holzbank und rief weiter: »Tchatcha, Tchatcha, komm, Miezimiezimiez, komm.« Und tatsächlich, es dauerte nicht lange, da pirschte sich lautlos eine Katze an, auf die die Beschreibung ihrer Mutter passte. Das Tier war sogar noch hässlicher, als Bel es sich vorgestellt hatte. Sie schloss es augenblicklich ins Herz. Wer wusste, was der armen Katze alles widerfahren war, dass sie so struppig und verhärmt aussah?
    Die Katze verharrte hinter dem Stamm des Mangobaums. Sie schien noch abwarten zu wollen, ob der Frau auf der Bank zu trauen war. Bel stellte das Schälchen mit der Sahne neben sich auf die Bank. Sie hoffte, dass die Katze hochspringen und sich vielleicht von ihr streicheln lassen würde. Bel lockte die Katze mit kleinen Zischgeräuschen, doch nichts tat sich. Beide verharrten reglos. Bel merkte, dass sie in der angenehmen Herbstsonne schon wieder schläfrig wurde. Sie lehnte den Kopf an die Hausmauer und schloss die Augen. Sie döste ein wenig. Als sie die Augen wieder öffnete, saß die Katze auf der Bank und schleckte die Sahne auf. Bel machte keine Bewegung, um das Tier nicht zu vertreiben. Sie beobachtete die Katze aus halbgeöffneten Lidern und überlegte, wie sie es anstellen sollte, dass das scheue Tier nicht weglief, wenn sie die Hand nach ihm ausstreckte. Vielleicht wenn sie es ganz langsam, ganz behutsam tat. Aber nein: Kaum hatte Bel die Hand auch nur einen Zentimeter von ihrem Schoß gehoben, da zuckte die Katze zusammen, hörte auf zu schlabbern und hob den Kopf. Ihre Blicke trafen sich, und obwohl Bel kein großer Tierfreund war und kein Verständnis für Leute hatte, die mit Tieren sprachen oder sie gar als Ersatz für Freunde und Familie hielten, hatte sie jetzt den Eindruck, in Augen zu schauen, aus denen Leid und schlimme Erfahrungen sprachen. Herrje, dachte Bel, jetzt war sie schon so tief gesunken, eine verwahrloste Katze für eine Seelenverwandte zu halten. Sie stand abrupt auf, sah, wie die Katze blitzschnell das Weite suchte, und ging wieder ins Haus.
    Ihre hauptsächliche Aufgabe für den Rest des Tages bestand darin, sich um Dona Fernanda zu kümmern. Den Vorschlag hatte Bel selbst gemacht, denn es hatte ihr gefallen, mit ihrer Großmutter zusammen zu sein. Weniger schön war das, was sie im Einzelnen zu tun hatte, unappetitliche Dinge, die einen das

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