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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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ganze Reihe weiterer katholischer Formeln sowie eine beinahe sportliche Folge von Hinknien, Aufstehen, Setzen, erneutem Aufstehen. Ana Carolina schaltete wieder ab, bis sie die Worte vernahm: »Sollte jemand etwas gegen diese Heirat einzuwenden haben, so möge er jetzt sprechen oder für immer schweigen.«
    Bleierne Stille legte sich über die versammelte Hochzeitsgesellschaft, und der Bischof setzte bereits an, in seinem liturgischen Ritual fortzufahren, als eine Männerstimme aus einer der hinteren Reihen laut und deutlich rief: »Ich – ich habe etwas dagegen einzuwenden.«
    Ein Raunen ging durch die Reihen.
    Der Bischof tat so, als habe er nichts gehört, und machte einfach weiter, obwohl alle Blicke, auf der Suche nach dem Störenfried, nun nach hinten gerichtet waren. Der Mann stand auf: »Ich sagte, ich habe etwas einzuwenden. Der Bräutigam, Henrique Almeida Campos, gehört hinter Gitter. Er hat sich eines Verbrechens schuldig gemacht und es nie gesühnt.«
    Es war Felipe da Silva! Ana Carolina erkannte ihn jetzt. Sie warf Henrique neben sich einen fragenden Blick zu, aber der wirkte noch hilfloser als sie, geradezu gelähmt. Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben.
    »Das sollte doch wohl ein Gericht entscheiden und nicht du, Felipe«, rief nun ihre Mutter. Dona Vitória hatte einen roten Kopf bekommen und war außer sich vor Wut. Es fehlte nicht viel, und sie wäre auf Felipe zugestürmt, um ihn zu verprügeln.
    »Und du,
tia
Vitória, machst dich eines noch größeren Verbrechens schuldig, wenn du deine Tochter diesem … Abschaum zur Frau gibst.«
    »Würden Sie bitte zu mir nach vorn kommen?«, sagte der Bischof zu Felipe. Es war keine Bitte, sondern ein Befehl. Dann wandte er sich an Dona Vitória und verlangte dasselbe von ihr.
    Die Gäste in den Reihen begannen unruhig zu werden. Man hörte sie tuscheln und sah sie die Köpfe recken, um nur ja keine Sekunde von dem unglaublichen Spektakel zu verpassen. Was hatte das alles zu bedeuten? Wieso sollte der allseits respektierte Henrique ein Verbrecher sein? Was fiel diesem dunkelhäutigen Kerl ein, solche Behauptungen aufzustellen? Und wieso nannte er Dona Vitória seine Tante? In ihr floss doch wohl kein
Neger
blut? Allein die Vorstellung war so schaurig-schön, dass einige der Anwesenden sich beinahe vergessen und vor Begeisterung in die Hände geklatscht hätten. Ha! Dona Vitória, die Fürchterliche – verwandt mit einem Mulatten und angehende Schwiegermutter eines Verbrechers? Wenn auch nur ein Bruchteil davon stimmte, wäre es ein Skandal von ungeheurem Ausmaß, wie es in Rio lange keinen mehr gegeben hatte.
    Felipe marschierte mit ausholenden Schritten und erhobenen Hauptes nach vorn. Er war erleichtert, dass er es gewagt hatte, im entscheidenden Moment aufzustehen und seinem Wunsch nach Rache nachzugeben. Es war richtig so gewesen. Sein Herz klopfte so laut, dass er meinte, es hören zu können. Es war keine Angst, die seinen Puls beschleunigte, sondern die erregende Gewissheit, dass er eine Lawine losgetreten hatte. Dona Vitória würde endlich für all ihre Sünden büßen, genau wie der junge Henrique. Für diese »feinen« Leute käme der unvermeidliche Skandal einem gesellschaftlichen Todesurteil gleich. Und die arme Braut? Sie konnte nichts für das alles, würde aber auf immer als die Braut gezeichnet sein, deren Hochzeit gründlich ruiniert worden war. Er schaute kurz zu ihr hin und erkannte plötzlich ihre beinahe unheimliche Ähnlichkeit mit Bel. Ha – da war er, der lebende Beweis, dass Dona Vitória tatsächlich seine Tante sein musste. Doch auf einmal war es ihm egal, er wollte mit diesem Weib nichts mehr zu schaffen haben.
    Der Blick aus den schönen Augen der jungen Frau ganz in Weiß beunruhigte ihn ein wenig. Ach was, wischte er seine Bedenken fort, mit seiner Bel hatte auch niemand Mitleid gehabt. Und im Grunde war es ja nur zu ihrem Besten, wenn sie den verbrecherischen Bräutigam nicht zum Mann nahm. Wobei – war sie nicht bereits mit ihm verheiratet? Ging der kirchlichen nicht immer die standesamtliche Trauung voraus? Nun, nach den heutigen Ereignissen dürfte es nicht schwer sein, die Ehe zu annullieren.
    All das schoss Felipe in der kurzen Zeit durch den Kopf, die er brauchte, um vor den Bischof zu treten.
    »Was hat das alles zu bedeuten?«, fragte dieser streng. Er sprach sehr leise, als wolle er die Heiligkeit der Zeremonie nicht durch das Heben seiner Stimme beschmutzen, obwohl sie doch längst beschmutzt

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