Unter den Sternen von Rio
Dann verhandeln wir deine Gage neu, und dann kaufen wir uns schöne Kleider – mit denen wir auch wirklich wie reiche Exoten auftreten können. So, wie wir jetzt aussehen, würde es uns ja doch keiner abnehmen.«
Bel schaute traurig an sich hinab. Sie hatte von zu Hause ihre wärmste Kleidung mitgenommen, aber die war für hiesige Verhältnisse noch immer unzureichend. Eine langärmlige Bluse und ein Strickjäckchen – ha!, damit hatte sie diesem widerwärtigen Winter trotzen wollen. Sie hatten sich bei ihrer Ankunft sofort von ihrem »Taschengeld«, das ihr Vater ihnen mitgegeben hatte, dicke Hosen und Pullover, Strümpfe, gefütterte Schuhe, Mäntel und Mützen gekauft. Das hatte einen Großteil ihrer Barschaft aufgefressen, mit dem unerfreulichen Ergebnis, dass sie jetzt aussah wie eine dicke Wollwurst und immer noch fror. Diese feuchte Kälte ging durch und durch, und sie saß ihr derart in den Knochen, dass allein der Gedanke, sich in ein luftiges Kostüm zu werfen, ihr eine Gänsehaut verursachte. Hoffentlich war das Theater gut beheizt. Wie sollte sie sonst Samba tanzen?
Bels Befürchtungen erwiesen sich als unbegründet. An ihrem ersten Arbeitstag, der aus einer viel zu kurzen Probe mit Musikern bestand, die wenig bis gar nichts von südamerikanischen Rhythmen verstanden, wurde ihr unter den Bühnenscheinwerfern schnell warm. Ihr Tanz erhitzte sie zusätzlich – zum ersten Mal seit ihrer Ankunft in Europa fror sie einmal nicht. Wie gut das tat!
Der Chef des Theaters schaute nur für ein paar Sekunden vorbei, schien mit ihrer Darbietung zufrieden zu sein und verschwand dann wieder. Dabei hatte er noch gar nicht ihr richtiges Kostüm gesehen. Augusto, der sich ausgemalt hatte, wie er ausgiebig mit dem Chef Bels Auftritt durchsprach, mit ihm fachsimpelte und mit ihm gemeinsam Ideen entwickelte, was zu verbessern sei, war enttäuscht. Auch das Theater sagte ihm nicht zu, er hatte etwas Größeres, Luxuriöseres erwartet. Das hier war eine dunkle, abgewrackte Kaschemme, in der es nach kaltem Rauch roch und der rote Samt auf den Polstern schon ganz abgewetzt war.
»Augusto, das geht so nicht!«, beschwerte Bel sich nach der Probe. »Diese albernen Musikanten verstehen nicht, was ich will. Du musst irgendwo ein Grammophon auftreiben, ich will ihnen meine Platte vorspielen. Vielleicht begreifen sie es dann.«
So, nun war er wieder der Laufbursche. Andererseits – darin war er gut. Und seine Aufgabe war nun einmal die, alles für Bel zu tun, ihr jeden Wunsch zu erfüllen, ihr zu helfen und sie zu beschützen. Mit vereinten Kräften würden sie Bel zu einem gefeierten Star machen, so hatten sie es vereinbart. Wenn sie also nach einem Grammophon verlangte, würde er eines organisieren, auch wenn er noch keine Ahnung hatte, wie oder wo.
Am Abend hatte er eines. Er hatte es einem Trödler abgeschwatzt, der es ihm für einen Tag lieh, dafür aber freien Eintritt in das Varieté-Theater verlangte. Augusto ließ sich darauf ein, rannte wieder zurück zum Theater, beschwatzte irgendeinen Verantwortlichen – nicht den Direktor – und erreichte kurz vor Ladenschluss das Geschäft des Trödlers mitsamt zwei Eintrittskarten.
Für Bels Probe war es definitiv zu spät, die Künstler nahmen gerade einen Imbiss zu sich, bevor das eigentliche Programm begann. Aber Augusto wäre nicht Augusto gewesen, wenn er nicht auch für diesen Fall eine Lösung in petto gehabt hätte. Er baute das Grammophon in dem kleinen Aufenthaltsraum auf, legte Bels Platte auf, die er noch schnell von zu Hause geholt hatte, und schlug damit drei Fliegen mit einer Klappe. Erstens wussten die Musiker nun, was von ihnen erwartet wurde. Sie nickten und gaben Bel zu verstehen, dass sie so etwas schon lange konnten. Nun ja, abwarten. Zweitens wurde die Laune der übermüdeten und unterbezahlten Kleinkünstler schlagartig besser, als die fröhliche Musik erklang, sie alle schenkten Augusto und Bel ein aufmunterndes Lächeln. Und drittens war Bel, kaum dass sie ihren eigenen Hit hörte, plötzlich von einer solchen Tanzlust beseelt, dass ihr Auftritt – als dritter des Abends – ein Erfolg werden
musste.
Augusto war sehr zufrieden mit sich.
Seine gute Laune änderte sich, als Bels Auftritt angekündigt wurde. Der kleine, piepsstimmige Conférencier quasselte munter drauflos, wovon Augusto natürlich nichts verstand. Doch dass darin nicht »Bela Bel« vorkam, das bekam er durchaus mit. Sie hatten nicht mal ihren Künstlernamen genannt!
Weitere Kostenlose Bücher