Unter den Sternen von Rio
spricht«, seufzte Augusto erleichtert, woraufhin der Portugiese lachte und ihn fragte, was er denn wünsche.
»Die Zeitung von gestern, Senhor, und das möglichst umsonst. Wir wohnen da oben unterm Dach«, hier deutete er mit dem Finger auf das von außen so prachtvolle Gebäude, dem man nicht ansah, wie schäbig die Dienstbotenzimmer waren, »und der Wind pfeift durch alle Ritzen.« Dass er wenig Geld hatte, brauchte er dem Mann sicher nicht zu erklären.
Der Portugiese trug dem Kioskbesitzer das Anliegen vor, in akzentfreiem Französisch, wie es Augusto scheinen wollte. Und dann, Wunder über Wunder, lächelte der Zeitungsverkäufer. Er entblößte eine Reihe so gelber, schiefer und ungepflegter Zähne, wie Augusto sie noch nicht mal bei den Weißen in Brasilien je gesehen hatte, aber sein Gesicht wirkte auf einmal freundlich und sogar recht sympathisch. Er kramte unter dem Ladentisch herum und förderte einen Stapel Zeitungen zutage, die er Augusto mit einem wohlmeinenden Rat in die Arme drückte. Natürlich verstand Augusto kein Wort, aber der Tonfall ließ ihn vermuten, dass es etwas Fürsorgliches war, was er sagte, etwa: »Stopfen Sie auch die Betten gut damit aus, der Winter ist noch lang.«
»Sie sollen sie nicht alle auf einmal verfeuern, sagt er«, übersetzte der Portugiese.
»Oh nein, ich gehe sparsam damit um. Und, ähm, vielen Dank. Wenn ich mich irgendwie für Ihre Hilfe erkenntlich zeigen könnte, also …« Augusto hatte keine Ahnung, in welcher Form er dem Mann seine Freundlichkeit hätte vergelten sollen, aber anbieten musste er es ja wohl.
»Ach, im umgekehrten Fall wären Sie mir sicher auch zu Hilfe geeilt. Ist doch selbstverständlich.« Danach sagte er noch etwas zu dem Kioskbesitzer und erklärte Augusto: »Ich habe ihm gesagt, dass Sie Brasilianer sind. Die sind hier besser gelitten als Afrikaner. Und ich habe auch behauptet, dass Ihre Frau in anderen Umständen ist und friert. Ich denke, in Zukunft bekommen Sie die alten Zeitungen auch ohne großes Theater.«
»Das ist …« Vor Dankbarkeit wäre Augusto beinahe in Tränen ausgebrochen.
»Gern geschehen.« Damit verabschiedete sich der Portugiese.
Augusto wandte sich nun an den Zeitungsverkäufer, lächelte ihn breit an und wagte es, sein erstes Wort auf Französisch zu sagen: »Merci.«
Augustos Talent, sich überall durchzuschlagen, erwies sich als wahrer Segen. Er ergatterte Lebensmittel umsonst, Backwaren vom Vortag oder angestoßenes Gemüse, und mit ein paar Händlern aus der Nachbarschaft schloss er sogar so etwas wie Freundschaft. Er stellte Bel allen vor und wiederholte immer wieder das eine Wort, das wie ein Schlüssel zum Herzen der Pariser war:
Brésil.
Eine hübsche Frau und der Traum von ewigem Sommer, das war alles, was es hier brauchte, um in der Bar an der Ecke einen Kaffee umsonst zu bekommen und von der Concierge ihres Hauses ein paar abgelegte Kleidungsstücke.
»Warum müssen wir hier eigentlich leben wie Bettler?«, fragte Bel verständnislos. »Wir haben doch ein bisschen Geld. Und in einer Woche geht es mit meinen Auftritten los, also haben wir doch genug, um hier ohne Almosen auszukommen.«
»Falls du es noch nicht bemerkt hast: Das Leben ist hier sagenhaft teuer. Ein Kaffee kostet zehnmal mehr als daheim, eine Apfelsine ist der reinste Luxus. Von der Miete für unsere Bruchbude könnten wir in Rio einen Palast bewohnen. Und was dein Engagement betrifft: Du weißt doch selbst, wie schnell es gehen kann, dass man plötzlich wieder auf der Straße steht. Ich möchte kein Risiko eingehen, das ist alles. Wir werden jetzt am Anfang ein bisschen haushalten müssen.«
»Es ist schrecklich, so zu leben. Ich will, dass du mich in ein schönes Restaurant ausführst und wir Wein zum Essen trinken.«
»Bald,
meu amor,
bald können wir uns das leisten.«
»Wenn man sich wie arme Leute benimmt, denkt man auch bald wie arme Leute. Ich glaube ja, dass wir schneller vorankämen, wenn wir uns als reiche Exoten aufführen würden. Dann würden uns die Reichen alle in ihren Salons haben wollen, um mit uns anzugeben.«
Augusto dachte darüber nach und fand, dass diese Theorie etwas Verführerisches hatte. Und auch etwas Wahres. Dennoch widerstrebte es ihm zutiefst, alle Ersparnisse für ein Diner hinzulegen und am nächsten Tag nicht zu wissen, wovon man das Nötigste zum Überleben bezahlen sollte. »Halt noch ein Weilchen durch, Liebste. Ich bin sicher, dass du sie mit deinen Auftritten sofort verzaubern wirst.
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