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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Tagen meldete er sich bei keinem seiner alten Freunde. Er wollte die Stadt auf sich wirken lassen, ziellos umherbummeln, vielleicht ein paar neue Ecken entdecken. Der Müßiggang gefiel ihm. Er deckte sich mit warmen Kleidern und Schuhen ein. Stundenlang konnte er in den malerischen Cafés sitzen, die Passanten beobachten, eine Zeitung lesen und sich immer wieder darüber wundern, warum der Kaffee hier so viel besser schmeckte als in seinem Ursprungsland. Abends ging er allein ins Kino und staunte über die riesigen Säle, die Paris inzwischen hatte. Auch den ersten Tonfilm, »The Jazz Singer«, sah er sich an, und obwohl es nur wenige Passagen waren, die mit Ton unterlegt waren, war er doch ganz und gar begeistert von den Möglichkeiten, die sich da boten.
    Nach etwa einer Woche hatte er genug von dem Touristendasein. Er setzte sich endlich mit Freunden und ehemaligen Kollegen in Verbindung und freute sich, dass sie alle ihn empfingen wie den verlorenen Sohn, mit überschwenglicher Herzlichkeit und dem milden Vorwurf, er hätte sich ja einmal melden können.
    »Ach, ich hatte viel um die Ohren«, entschuldigte er sich dann grinsend, »ich war verheiratet und bin die Braut gleich wieder losgeworden.« Er zog die unerfreuliche Episode mit Alice ins Lächerliche, denn sie gab eine gute Geschichte zum Erzählen ab und hinderte die Leute daran, weitere Fragen zu stellen, die möglicherweise an etwas rührten, über das er nicht sprechen wollte. »Ich hatte mich von der Dame breitschlagen lassen, mit ihr vor einen korrupten Priester zu treten und sie dem Schein nach zu ehelichen. Sie war eine Freundin, und sie tat mir leid. Beides war wenig später nicht mehr der Fall, denn sie meinte in mir den idealen Vater für ihr Kind gefunden zu haben. Die Unterstellungen und Anfeindungen ihrer Familie hörten allerdings auf, als das arme Kind geboren wurde – dunkelhäutig und ganz sicher nicht von mir.«
    Man lachte schadenfroh über die Anekdote und vergaß, António nach weiteren Einzelheiten seines Lebens zu fragen. Oder vielleicht wollte auch einfach niemand etwas Genaueres wissen. Die Atmosphäre in Paris hatte sich in den Jahren seiner Abwesenheit stark geändert. Waren früher noch die Nachwehen des Großen Krieges spürbar gewesen, mit Trauerfällen in fast jeder Familie und mit materiellen Entbehrungen, so traf er jetzt eine Gesellschaft an, in der gefeiert wurde, als ob es kein Morgen gäbe. Der Wohlstand im Land war gewachsen, so dass auch die Kleinbürger munter konsumierten und das Geld mit beiden Händen ausgaben. Man wollte nichts Schreckliches mehr hören oder sehen. Oberflächlichkeit war Programm, Vergnügungssucht war Pflicht. Da seit dem Großen Krieg und der Dezimierung der männlichen Bevölkerung immer mehr Frauen berufstätig waren, hatte deren Selbstbewusstsein zugenommen. Die »neue Frau« hatte mehr Geld und mehr Rechte, und damit nahm sie sich mehr Freiheiten – auch sexueller Natur – heraus als früher. Die Röcke wurden kürzer, die Shows in den Cabarets freizügiger, der Umgang zwischen den Geschlechtern war frivol bis libertinär. Es war eine schöne, zügellose, wilde Zeit – für alle, die sie zu genießen vermochten.
    António gehörte nicht immer dazu. Es gab Nächte, da konnte er trinken und tanzen bis in die Morgenstunden und alles vergessen, was in seinem Leben nicht stimmte. An anderen Abenden verabschiedete er sich schon zeitig, ließ sich als Spielverderber oder Puritaner beschimpfen und ging nach Hause, um sich der Arbeit zu widmen. Sie lenkte ihn besser als alles andere von den Trauerattacken ab, die ihn mit grausamer Regelmäßigkeit heimsuchten.
    In der Fliegerszene hatte man seine Rückkehr mit großem Hallo begrüßt. Alle beglückwünschten ihn zu der ersten Nonstop-Südatlantiküberquerung des von ihm unterstützten Piloten João Ribeiro de Barros, die von ein paar Querelen überschattet wurde, aber im Großen und Ganzen erfolgreich verlaufen war. In Paris hatte sich diese Pionierleistung in Windeseile herumgesprochen. Paris war sowohl für Flugzeugbauer oder -techniker als auch für Piloten
die
Stadt in Europa. Von den Anfängen der Fliegerei bis heute hatte Paris sich als der Ort etabliert, der Piloten die besten Bedingungen lieferte und sie am meisten feierte, an dem der Traum vom Fliegen mit der meisten Energie vorangetrieben wurde, und nicht zuletzt auch der, der die höchsten Wettbewerbsprämien ausschrieb. Es war kein Zufall, dass ein Charles Lindbergh in Paris

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