Unter den Sternen von Rio
Tätigkeiten, die er ausführen musste, waren leicht. Er erledigte kleinere Reparaturen in der Wohnung, machte Botengänge, schleppte Kohlen nach oben und derlei Dinge mehr. Es gab immer etwas zu tun. Trotz ihrer Anspruchslosigkeit machte die Beschäftigung ihm Spaß. Er lernte Paris gut kennen und verbesserte sein Französisch schnell, denn die anderen Hausangestellten, ein Hausmädchen und eine Köchin, waren beide von hier. Der einzige Nachteil war der, dass er täglich von acht bis zwölf Uhr dort erscheinen musste, während seine Arbeit im Dienste Bels ihn oft bis weit nach Mitternacht auf Trab hielt, so dass er Mühe hatte, morgens aus dem Bett zu kommen.
Augusto war dauernd müde. Wäre er nicht von dem Wunsch beseelt gewesen, Bel ein schönes Leben zu bereiten, in dem regelmäßige Restaurantbesuche ebenso wenig fehlen durften wie ein paar extravagante Kleidungsstücke oder auch mal ein neues Stück für die Wohnung, er hätte diese Plackerei bestimmt nicht freiwillig auf sich genommen.
»Ich habe eine Idee«, sagte Bel jetzt.
»Ja?« Augusto überfiel eine böse Vorahnung. Bels Ideen waren häufig, nun ja, unrealistisch. Und er war dann ihr Sündenbock, wenn sie sich nicht umsetzen ließen.
»Am nächsten Dienstag ist hier ›Mardi Gras‹. So nennen sie ihren lächerlichen Karneval. Das wäre doch die Gelegenheit, meinen Auftritt ein wenig länger als sonst dauern zu lassen. Oder aber man stellt die ganze Show unter ein Motto, ›La nuit brésilienne‹ oder so etwas. Und wenn der Abend ein Erfolg wird, kannst du mit Monsieur Andaházy verhandeln.«
»Hm«, nickte Augusto nachdenklich. »Ja, keine schlechte Idee. Schade nur, dass du nicht früher draufgekommen bist. Da hätte der Chef rechtzeitig alles organisieren und planen können, hätte Plakate aufhängen können und solche Sachen. Jetzt ist es ja schon ein bisschen zu knapp.«
»Na und?«, sagte Bel mit einem schelmischen Lächeln. »Er hat doch dich. Den König des Organisierens.«
Noch am selben Nachmittag sprach Augusto mit Andaházy. Er hatte leichte Schwierigkeiten, sich verständlich zu machen, schließlich gelang es ihm aber doch. Der Theaterchef reagierte ähnlich wie er selber, als er zum ersten Mal von dem Plan gehört hatte. »Keine schlechte Idee«, meinte er. »Schade, dass ich da nicht früher draufgekommen bin.«
Er
wollte draufgekommen sein? Es war doch ganz allein die Eingebung von Bel gewesen! Augusto musste sich sehr zusammenreißen, um seine angemessen devote Miene beizubehalten.
»Gerade vorgestern hat sich hier eine Combo aus Argentinien vorgestellt«, überlegte Andaházy laut.
»Nun ja«, wagte Augusto einzuwenden, »es ist so in etwa, als ob man eine deutsche Kapelle die Begleitmusik für eine Flamencotänzerin spielen ließe.« Natürlich gab sein Französisch eine so komplizierte Satzkonstruktion noch nicht her, so dass Andaházy ihn völlig falsch verstand.
»Einen Flamenco will sie tanzen, Ihre Frau? Aber ich bitte Sie! Was ist denn daran brasilianisch?«
Eine ganze Weile redeten die beiden Männer aneinander vorbei, bis sie sich schließlich darauf einigen konnten, dass Bel mehrere Nummern würde vortragen dürfen und dass Augusto grünes Licht hatte, um brasilianische Musiker aufzutreiben.
»Und was zahlen Sie ihr?«, wollte Augusto wissen.
»Ach, sagen wir … fünf Prozent von den Einnahmen an der Abendkasse?«
»Sieben.«
»Sechs.«
Augusto überlegte nicht lange. Sie hatten sich in der Mitte getroffen, viel mehr war da wohl nicht herauszuholen. »Einverstanden.«
Sechs Prozent von wenig war
sehr
wenig. Andaházy hatte wohl damit kalkuliert, dass üblicherweise das Haus an Dienstagen nur spärlich besucht war. Den größten Gewinn machte das Etablissement außerdem mit dem Ausschank von Getränken, und daran wäre Bel nicht beteiligt. Aber wenn es ihm, Augusto, nun gelang, das Haus voll zu bekommen? Wenn er die Werbetrommel rührte? Wenn er sich irgendetwas einfallen ließ, um die Abendkasse so richtig klingeln zu lassen? Dann wären diese sechs Prozent gar nicht mal so schlecht – und die perfekte Verhandlungsbasis für weitere Gespräche über die Gage.
Augusto sprudelte förmlich über vor Ideen, wie er das Haus voll bekommen konnte. Sein Elan war grenzenlos, jetzt, da sie an den Einnahmen beteiligt werden würden. Es lag ja ein viel größerer Anreiz darin, viele Zuschauer zu haben, als sonst, wenn Bel für die immer gleiche Gage auftrat, ob das Haus voll oder leer war, ob sie gut oder
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