Unter den Sternen von Rio
hatten sich extra Kostüme besorgt, und auch der italienische Muskelprotz, Enzo Enzonini, wollte mitmachen. Bel hatte ihm ein paar Sambaschritte beigebracht, die der schwergewichtige Mann erstaunlich leichtfüßig tanzte.
Am frühen Dienstagabend beschloss Augusto, nun das Theater zu verlassen. Dort konnte er jetzt nicht mehr viel ausrichten. Ein paar müde Musiker waren eingetrudelt, die Blumenfrau war mit einer ganzen Karre voller nicht mehr ganz frischer Blätter und Blüten gekommen, und sogar der Vogelverkäufer hatte Wort gehalten und fünf Volieren mit bunten Vögeln vorbeigebracht. Nun mussten Bel, Enzo, Wladimir und ein paar andere mit vereinten Kräften zusehen, dass sie das Beste daraus machten. Besonders vielversprechend hatte es noch nicht ausgesehen, als Augusto zuletzt einen Blick darauf geworfen hatte.
Egal, Augen zu und durch.
Worauf es wirklich ankam, war doch, dass der Laden voll wurde. Waren die Leute einmal drin, würden sie eine schlechte Dekoration und ein nicht harmonisierendes Musikergespann vielleicht verzeihen, insbesondere unter dem Einfluss des Cocktails, den der Barmann eigens für diesen Abend kreiert hatte. Irgendetwas furchtbar Süßes, Klebriges und Hochprozentiges. Nun war es an der Zeit, dass Augusto seinen letzten Trumpf aus dem Ärmel zog. Es wäre die letzte und zugleich größte Demütigung in einer ganzen Reihe von Peinlichkeiten, die er nur Bel zuliebe auf sich nahm.
Er schluckte und wappnete sich für die Blamage.
Es gab jetzt kein Zurück mehr.
39
D on Leopoldo stand mit Caro am Grab von Dona Alma. Der »Cemitério dos Prazeres« – Friedhof der Freuden – war herrlich auf einem Hügel gelegen und bot einen weiten Blick über Lissabon und den Tejo.
»Was ist das für ein makabrer Name?«, fragte Caro den alten Herrn.
»Früher war das hier einmal ein Park«, erklärte Don Leopoldo, »ein Ausflugsziel für die ganze Familie, und sein Name,
Prazeres,
also Vergnügungen oder Freuden, wurde beibehalten.«
»Er ist wunderschön«, sagte Caro versonnen.
Sie hatte noch nie einen Friedhof wie diesen gesehen. Er sah aus wie die Miniaturausgabe einer Stadt. Entlang gepflegter, baumbestandener Wege, die die Anlage wie kleine Alleen durchzogen, standen die Grabmäler, die meisten in der Form kleiner Häuser. Dona Almas Grab, das sie für sich ganz allein hatte, da ihr Mann schon vor Jahrzehnten in Rio gestorben war, wirkte besonders schmuck. Es sah aus wie ein winziger Palast. Durch das schmiedeeiserne Portal oder vielmehr Portälchen hindurch konnte man einen Blick ins Innere werfen, das nun wieder den Blick auf etwas freigab, was man vielleicht nicht unbedingt sehen wollte: den Sarg. In diesem Fall war es nur einer, der auf einem steinernen Podest ruhte, aber in einigen Familiengrüften stapelten sich an den Wänden bis zu sechs Särge. Es war morbide, rief dem Betrachter allerdings auch mit besonderer Eindrücklichkeit die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens in Erinnerung
»Sie hatte einen sehr gnädigen Tod«, flüsterte Don Leopoldo. »Sie ist, wie man so schön sagt, friedlich entschlafen, und das meine ich wörtlich. Sie schlief ein und erwachte nicht mehr. Sie hat vorher nicht gelitten, und sie war auch nicht so hinfällig, als dass sie das Alter verflucht hätte.«
»Wie schön«, entgegnete Caro und hätte sich gleich die Zunge abbeißen mögen. Konnte man beim Tod eines geliebten Menschen von »schön« sprechen? Denn dass der alte Mann Dona Alma geliebt hatte, war unübersehbar.
Don Leopoldo war ein
cavalheiro
alter Schule, ein Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, dessen Umgangsformen so tadellos waren, dass es beinahe schon wie eine Parodie wirkte. Sein verwittertes Gesicht ließ nicht mehr erkennen, ob er früher einmal gut ausgesehen hatte oder nicht. Aber obwohl er die achtzig weit überschritten haben musste, hielt er sich gerade, hatte noch recht volles Haar und einen klaren Blick. Er trug einen cremefarbenen Anzug, ein seidenes Halstuch und auf Hochglanz polierte Schuhe. Ein eleganter Hut saß ein bisschen schief auf seinem Kopf, was ihm einen leicht verwegenen Eindruck verlieh. Er musste viel Zeit auf sein Äußeres verwenden, fuhr es Caro durch den Kopf. Die perfekten Manieren sowie das gepflegte Erscheinungsbild hatten Dona Alma bestimmt gefallen.
Sie hätte so viele Fragen an Don Leopoldo gehabt, wagte es aber nicht, sie zu stellen. Schon gar nicht hier. Der arme Mann tupfte sich gerade verstohlen ein paar Tränen aus den
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