Unter den Sternen von Rio
Abend wünsche ich Ihnen noch«, verabschiedete sich Augusto. Er war stolz auf sich – und zugleich verärgert. Warum war er nicht früher draufgekommen? Die Brasilianer in Paris, die musste man kriegen. Und wo traf man sie am wahrscheinlichsten an? Doch zumindest einmal in der Botschaft. So ein Pech, dass jetzt erst einmal das Wochenende ins Haus stand und die Botschaft mit Sicherheit geschlossen war. Am Montag, nahm er sich vor, gleich am Montagmorgen, würde er sich dorthin begeben. Er würde einen Riesenwirbel veranstalten und dafür sorgen, dass jeder, vom Portier über die Sekretärinnen bis zum Botschafter, von ihrer brasilianischen Party erfuhr.
Das ganze Wochenende hindurch arbeitete Augusto fieberhaft daran, dass der Mardi Gras für jeden in Monsieur Andaházys Theater zu einem unvergesslichen Ereignis wurde. Er war ganz in seinem Element. Er war findig. Wenn es darauf ankam, konnte er auch sehr schnell sein. Und jetzt kam es darauf an! Alles, was er am Wochenende »organisieren« konnte, bewerkstelligte er auch. Er klapperte so viele kleine Jazzclubs ab, wie er konnte, und fragte sich mühsam durch, wo denn brasilianische Musiker zu finden seien. Er stöberte tatsächlich ein paar auf und lockte sie mit der Aussicht auf eine kleine Gewinnbeteiligung sowie der »Ehre«, bei dieser Party aufspielen zu dürfen. Am Sonntag ging er auf den Vogelmarkt auf der Île de la Cité, bestaunte unzählige tropische Papageienarten und Kolibris und handelte mit einem der Verkäufer ein für beide Seiten vorteilhaftes Geschäft aus. Der Mann würde ihm zwanzig Käfige mit schillernden Vögeln leihen, im Gegenzug bekamen er und drei seiner Gäste einen Tisch umsonst.
Am Montag rannte Augusto nach seiner Arbeit bei Senhor Pessoa noch schnell zum Blumenmarkt, um nach längerer Suche mit einer Marktfrau handelseinig zu werden. Sie würde ein paar weniger frische, aber nichtsdestoweniger farbenfrohe Blumen und Palmwedel zur Dekoration beisteuern, wenn Augusto dafür sorgte, dass ihr Name in der Zeitung erschien. Er versprach es ihr, woraufhin er als Nächstes zur Redaktion des Blattes eilte, um mit einem gewissen Monsieur Bertrand zu sprechen, dem Autor jenes winzigen Artikels, in dem Bel gelobt worden war. Der Journalist verstand nur die Hälfte von dem, was dieser aufgedrehte Brasilianer ihm mitteilen wollte, aber er amüsierte sich köstlich über dessen lebhafte Art und die Energie, mit der er sich für seine Sache einsetzte. Immerhin verstand Monsieur Bertrand genug, um zu erfahren, dass es in diesem schrecklichen Varieté-Theater am Karnevalsdienstag eine Art Sonderschau geben würde. Er versprach Augusto zu kommen, wobei er solche Versprechen jeden Tag zehnmal gab und nur zu einem Bruchteil hielt.
Am Dienstagmorgen hatte Augusto von dem sehr verständnisvollen Senhor Pessoa frei bekommen. Jede Sekunde zählte nun! Im Gegensatz zu Bel, die völlig entspannt war und sich darauf freute, dass ihr Auftritt länger dauern würde als sonst, war Augusto das reinste Nervenbündel. Er hatte die ganze Nacht nicht geschlafen. Er fürchtete sich vor dem Abend, vor all dem, was schiefgehen konnte. Er ging im Kopf sämtliche Schreckensszenarien durch. Er verfluchte die ganze Situation und zweifelte immer mehr an seinem Vorhaben. Wie hatte er nur so arrogant sein können zu glauben, dass er in wenigen Tagen und praktisch ohne Geld eine tolle Karnevalsstimmung zaubern könnte? Es war unmöglich. Das Ganze gäbe den Reinfall des Jahrhunderts. Wieso hatte denn nicht wenigstens Andaházy mehr Vernunft und Weitsicht an den Tag gelegt und ihn gebremst? Das war doch Wahnsinn!
Monsieur Andaházy beobachtete das irre Treiben dieses Negerburschen mit stillem Vergnügen. Was hatte er zu verlieren? Die Dienstage waren die Abende mit dem geringsten Umsatz. Schlimmer konnte es der Bursche mit seiner Karnevalsmanie auch nicht machen. Und es stimmte ja: Seine Frau, Bel, war inzwischen schon fast so etwas wie ein Publikumsmagnet. Dann sollte sie doch mal zeigen, ob ihr Talent und ihre Kraft auch reichten, um einen längeren Auftritt hinzulegen. Wenn nicht, waren ja noch immer die anderen Künstler da, die sofort einspringen konnten. Sie waren ohnehin leicht verärgert über die Sonderbehandlung der Brasilianerin, hatten sie aber schulterzuckend hingenommen, als sie erfuhren, dass ihnen keine Einbußen bei der Gage drohten. Ein paar wenige, Wladimir zum Beispiel, hatten sogar Spaß an der Abwechslung. Der russische Seiltänzer und seine Partnerin
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