Unter den Sternen von Rio
Hüften wackelte, wenn er eine hübsche Melodie hörte. Nur innerhalb der
Music Halls
oder
Cafés Concerts
oder Tanzclubs bewegten die Leute mal ihre dürren Hintern, meistens nicht einmal im Takt.
Es wäre schön gewesen, wenigstens ein paar andere Brasilianer hier kennenzulernen. Bestimmt hätte das ihre Sehnsucht nach der Heimat gelindert. Aber die wenigen, die es hierher verschlagen hatte, gehörten anscheinend alle der Oberschicht an. Nun ja, klar, die Armen konnten sich ja schon die Passage nicht leisten, geschweige denn das Leben in der aberwitzig teuren Metropole. Neulich hatte Bel sich Schuhe kaufen wollen, in die sie sich beim Bummeln spontan verliebt hatte. Als sie den Preis erfuhr, hatte sie sie entsetzt wieder weggestellt. Das war ja eine halbe Monatsgage – für ein Paar Schuhe! Entweder, dachte sie, waren die Schuhe maßlos überteuert, oder aber ihr Einkommen war zu gering. Sie würde mit Augusto reden müssen. Sie brauchten mehr Geld, wenn sie sich hier jemals wohl fühlen wollten.
»Augusto, Schätzchen?«
»Ja,
meu amor?
«
»Willst du nicht mal mit Monsieur Andaházy sprechen? Wegen der Gage?«
»Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, mindestens einen Monat abzuwarten.«
»Ja, aber das war, bevor wir die Preise in Paris kannten. Er zahlt einen Hungerlohn.«
»Aber er zahlt ihn.«
»Zu wem hältst du eigentlich, zu ihm oder zu mir?«
»Bel, Liebste. Was für eine blöde Frage.«
»Nenn mich nicht blöd.«
»Herrgott noch mal, Bel, ich kann doch auch nichts dafür, dass es so hart ist. Eines Tages werden wir darüber lachen, wirst schon sehen. Dann sitzen wir schön im Lehnstuhl und erzählen unseren Enkelkindern von den schweren Zeiten in Paris, als Oma noch sündige Tänze aufführte und Opa in der Gegend herumrannte, um nach preiswerten Strümpfen für Oma zu suchen.« Er grinste Bel an, obwohl er genau wusste, dass sie davon nichts hören wollte. Sie wollte nicht daran erinnert werden, dass auch sie eines Tages alt sein könnte.
»Ich werde den Kinderchen eine ganz andere Geschichte erzählen: dass nämlich Opa zu feige war, Omas Chef nach einer Erhöhung der Gage zu fragen, und dass deshalb Oma und Opa bitterlich frieren und hungern mussten.«
»Frierst du etwa? Hast du Hunger?«, konterte er. »Na bitte. In einer Woche gehe ich zu Andaházy und frage ihn, versprochen. Aber wenn wir zu schnell zu viel wollen, wenn wir gierig werden, dann ist das auch nicht gerade förderlich fürs Geschäft.«
»Alle Gierhälse, die ich kenne, haben es weit gebracht«, sagte Bel.
»Ich glaube, dass wir mit Bescheidenheit auf Dauer besser fahren«, erwiderte er.
»Deshalb bist du ja auch trotz deiner manchmal beeindruckenden Fähigkeiten immer nur der Laufbursche geblieben. Augusto, ehrlich, hör auf mich und wage mal etwas. Sonst sitzen wir in zehn Jahren immer noch in dieser Bruchbude und stopfen die Ritzen mit Zeitungspapier aus. Ich habe da keine Lust mehr drauf. Ich will ein Haus mit Brokatgardinen und Schwimmbad im Garten. Ich will einen begehbaren Kleiderschrank, der voll hängt mit den elegantesten Roben. Ich will ein Marmorbad, so groß wie die ganze Wohnung hier. Ich will eine …«
»Schon gut, schon gut, ich habe es kapiert. Ich will das alles auch«, behauptete Augusto, obwohl es gar nicht stimmte. Alles, was er wollte, war Bel und gemeinsame Kinder. Er träumte von einem harmonischen Familienleben. Schön, ein gewisser Wohlstand wäre sicher erstrebenswert, damit man sorgenfrei in die Zukunft schauen und den Kindern eine gute Ausbildung bezahlen konnte. Aber diesen Hollywood-Glamour, den brauchte er nicht zu seinem Glück. Eher im Gegenteil. Er würde sich in dieser Glitzerwelt niemals wohl fühlen. Er würde immer der bodenständige Typ bleiben, ganz gleich, wie reich sie jemals werden sollten. Oder wie reich Bel je werden sollte.
Bei ihm selber standen die Chancen ja gleich null, dass er einmal das ganz große Geld machen würde. Er hatte eine Halbtagsstelle als Junge für alles ergattert, und zwar bei dem freundlichen Portugiesen, dem er noch mehrere Male auf der Straße begegnet war und der ganz in der Nähe wohnte. Senhor Pessoa. Doch obwohl diese Arbeit sein männliches Selbstbewusstsein stärkte, da er nun nicht mehr ganz so abhängig von Bel war, war er doch nur wieder ein Laufbursche. Und als solcher konnte man schlicht nicht aufsteigen, das lag nun einmal in der Natur der Arbeit. Senhor Pessoa bezahlte und behandelte ihn sehr anständig, und die meisten
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