Unter den Sternen von Rio
übertreten. So wie sie es als Frau gewagt hatte, sich in einer Männerwelt zu behaupten, so hatte er als kleiner Baustoffhändler aus Duque de Caxias einfach das Naserümpfen der gehobenen Gesellschaft ignoriert und sich zu einer Instanz gemausert, an der kein Bauherr in Rio vorbeikam. Lamentieren brachte nichts, handeln dafür umso mehr. Nach dieser Devise lebten sie beide. Sie verstanden sich glänzend, auch ohne Worte.
Ohne Worte geschah dann auch das, was in den Augen vieler Neider des erfolgreichen Gespanns ohnehin längst passiert war. Sie kamen einander näher, als es für ihre Geschäftsbeziehung oder auch für ihre Ehen gut gewesen wäre. Vita saß auf dem Stuhl an seinem Schreibtisch und studierte eine Karte von Rio, während er auf die Straße gegangen war, um ihnen aus dem Ecklokal einen Kaffee zu besorgen. Es war schon weit nach Geschäftsschluss, in seinem Büro waren alle Angestellten bereits nach Hause gegangen. Nachdem Roberto mit dem Kaffee eingetroffen war, beugte er sich von hinten über den Stuhl, auf dem sie saß, um sich auf der Karte etwas zeigen zu lassen.
»Sieh mal, Roberto. Dieses Land hier gehört jetzt der Familie dieses alten Barons, der kürzlich gestorben ist. Es ist für sie praktisch wertlos, denn es ist noch nicht erschlossen, und Landwirtschaft wird von denen keiner treiben wollen. Ich kenne einen der Erben, er ist ein phantasieloser Bürokrat. Wahrscheinlich werden sie sich sogar über die Erbschaft in die Wolle kriegen – und dann kommen wir und retten sie, indem wir ihnen einen Preis für das Land anbieten, dem sie nicht widerstehen können.«
»Aber Vita – es ist, wie du so richtig erkannt hast, wertlos.«
»Es liegt direkt hinter Copacabana und in beinahe fußläufiger Entfernung zum Jardim Botánico sowie der Pferderennbahn. Es wird uns ein Vermögen einbringen, wenn wir nur rechtzeitig zuschlagen.«
Roberto schien zu zweifeln, denn er sagte nichts. In Wahrheit hatte ihn die plötzliche körperliche Nähe zu Vita, der Duft ihres Haars und die weiche Rundung ihres Halses viel mehr gefangen genommen als diese neue Verrücktheit von ihr. Zugegeben, in der Vergangenheit hatten sich alle ihre verrückten Ideen im Nachhinein als geniale Schachzüge erwiesen. Aber dieses Sumpfland im Einzugsgebiet der Lagune? Ipanema? Er hatte gelesen, dass der Name in der Indio-Sprache so viel bedeutete wie »schlechtes Wasser« – das konnte doch nicht ihr Ernst sein.
Seine Lippen waren nur einen Hauch von ihrer weißen Haut entfernt. Urplötzlich überkam ihn ein Verlangen, wie er es in ihrer Gegenwart noch nie gespürt hatte. Er hatte sie bisher ja nicht einmal als Frau wahrgenommen, sondern als Geschäftspartnerin, hatte nicht ihre Gestalt anziehend gefunden, sondern ihren scharfen Verstand. All das änderte sich von einem Augenblick auf den anderen, nur weil er zu später Stunde ein wenig zu nah an sie herangerückt war. Und weil sie nicht instinktiv auf Abstand zu ihm ging. Im Gegenteil, er hatte den Eindruck, dass sie ihre samtweiche Wange noch etwas näher zu ihm hindrehte. Ihre Gesichter waren einander so nah, dass nur noch der feine Flaum auf ihrer Wange den Hautkontakt verhinderte. Ehe er es sich versah, hauchte er einen kaum spürbaren Kuss auf ihren Hals, direkt unter ihrem Ohr. Sie schloss die Lider und ließ ihn gewähren.
Und dann passierte der Rest wie von allein.
Vita war überrascht, wie weich Robertos Lippen waren, wie liebevoll seine Küsse. Wenn sie sich ihn je als Liebhaber vorgestellt hätte, was bis zu diesem Abend nie der Fall gewesen war, dann hätte sie ihn als zupackend und forsch gesehen. Dass er ein so rücksichtsvoller und zärtlicher Mann war, hätte sie nicht für möglich gehalten. Sie genoss seine Liebkosungen, wie sie lange keine mehr genossen hatte. Sie lechzte nach den süßen Komplimenten, die er ihr ins Ohr murmelte, und erschauerte vor Wonne unter seinen Berührungen. Es kam ihr an jenem Abend vollkommen natürlich und unvermeidbar vor, dass sie und Roberto sich lieben würden.
Es war wunderschön mit ihm.
Und es wiederholte sich noch mehrere Male.
Gewissensbisse empfand Vita keine dabei. León war schon so lange fort, und sie war sich ganz sicher, dass er sich dort, wo er gerade war, auch nicht gerade wie ein Waisenknabe verhielt. Er hatte sie bestimmt schon oft betrogen, dachte sie, da durfte sie doch auch einmal die Freuden der körperlichen Liebe mit einem anderen als ihm erleben.
Vitas und Robertos Affäre endete an dem Tag, als
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