Unter den Sternen von Rio
deshalb verbiete ich dir, deine sinnlichen Verrenkungen weiterhin auszuüben. Die Kerle sabbern ja förmlich, wenn sie dir zusehen.«
Insgeheim fand Bel die Vorstellung von den sabbernden Männern recht anregend. Es gab ihr Macht über sie. Aber wie sollte eine alte, verknöcherte Frau wie ihre Mutter so etwas verstehen können?
»Grins nicht so frech. Du hast vielleicht meine Botschaft nicht klar verstanden: Du wirst mit diesem Tanzunsinn aufhören.«
»Träum süß,
mãe«
, erwiderte Bel zweideutig und stapfte die Treppe hinauf. Das zischelnde Gezeter ihrer Mutter verfolgte sie bis nach oben, aber Bel verschloss ihre Ohren davor. Sie würde tanzen. Sie würde die beste
sambista
von Rio werden. Und dann …
Während seine Tochter nur eine Tür weiter hellwach im Bett lag und Pläne für ihre glorreiche Zukunft schmiedete, wälzte Felipe sich im Halbschlaf herum: Ihm war zu heiß. Warum, fragte er sich, erfand nicht einmal jemand etwas wirklich Nützliches? Es gab Automobile und Flugzeuge, Fahrstühle und Telefonapparate, elektrisches Licht und Grammophone – aber ein Gerät, das für kühlere Luft sorgte, gab es nicht. Der Deckenventilator, den Felipe im Jahr zuvor angeschafft hatte – eine ungeheure Extravaganz –, blieb bei den häufigen Stromausfällen immer stehen. Und wirklich kühle Luft produzierte er auch nicht. In Nächten wie dieser, wenn es 38 Grad heiß war, fühlte man sich von der umhergewirbelten heißen Luft angeblasen wie von einem Wüstensturm. Vielleicht sollte man einfach mal einen dieser genialen Erfinder aus Europa und Nordamerika in die Tropen einladen, damit sie sich des Problems bewusst wurden und sich seiner annahmen.
Seine eigenen Gedanken ärgerten ihn. Warum sollte es nicht auch in Brasilien jemanden geben, der zu einer solchen Erfindung fähig war? Jahrhundertelang hatte man die Schwarzen versklavt und ihnen eingeredet, sie seien weniger wert als weißhäutige Menschen. Es hatte weniger als vierzig Jahre gedauert, um das Gegenteil zu beweisen. Heute gab es schwarze Dichter, Ärzte, Ingenieure und Unternehmer, wie er selbst einer war. Warum sollte es in einem Wettstreit der Nationen anders sein? Wieso zum Teufel ließen sich die Südamerikaner noch immer von den Industrieländern weismachen, sie seien weniger fähig zu Höchstleistungen? So ein ausgemachter Quatsch! Gleich morgen würde er seinen alten Freund und Kunden, den Verleger Leite Soares, aufsuchen und ihm den Vorschlag unterbreiten, eine Art Wettbewerb für Erfinder auszurufen. Ja, das war keine schlechte Idee. Man könnte bestimmt zahlreiche Sponsoren gewinnen, die den Gewinner bei der Entwicklung seiner Erfindung finanzierten. Für Leite Soares würde das eine Steigerung der Auflage bedeuten, für die Unterstützer aus Wirtschaft und Industrie ein Plus an Prestige. Felipe war glücklich, wie jedes Mal, wenn er solche Eingebungen hatte. Versöhnt mit der schweißtreibenden Nacht, drehte er sich um und schloss die Augen. Er begann wegzudösen.
Wenige Sekunden später betrat Neusa das Schlafzimmer mit den Worten: »Du musst deinem Fräulein Tochter mal eine ordentliche Tracht Prügel verpassen. Alles andere hilft bei ihr ja nicht.«
Sofort war Felipe wieder hellwach und schlecht gelaunt. »Können wir das nicht morgen besprechen?«
»Von mir aus«, grummelte Neusa. In ihr kochte es, doch nach der unerfreulichen Begegnung mit Bel hatte sie jetzt keine Lust mehr auf eine weitere Debatte. Sie fragte sich, wie es ihrem Mann je hatte gelingen können, sich im Geschäftsleben erfolgreich zu behaupten. Er war viel zu weichherzig. Wahrscheinlich könnte er das Doppelte verdienen, wenn er nur ein wenig härter wäre. Wenn es nach ihm ginge, hätten sie das Haus voller herrenloser Tiere und schlecht erzogener Kinder, die ihnen von morgens bis abends auf der Nase herumtanzten. Die
ihr
auf der Nase herumtanzten. Denn Felipe machte es sich ja leicht und verschwand einfach von Sonnenaufgang bis tief in die Nacht und überließ dieses Irrenhaus ihr und Dona Fernanda, die im Übrigen auch nicht viel besser als ihr feiner Sohn war.
Neusa hatte ihre Schwiegermutter nie besonders gut leiden können. Dona Fernanda hielt sich nämlich anscheinend für etwas Besseres und ließ es Neusa bei jeder Gelegenheit spüren. So waren zum Beispiel Neusas mangelhafte Kenntnisse des Lesens und Schreibens ein ewiger Anlass zu Spott. Zumindest wollte es Neusa so vorkommen, denn direkt geäußert hatte sich ihre Schwiegermutter dazu nie
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