Unter den Sternen von Rio
verwirklichen wollte, musste sie in Form bleiben und ihren Körper sowie ihre Stimme pflegen. Ihre seidige hellbraune Haut, ihre geschmeidige Gestalt, ihre weißen Zähne und ihre wunderbare Altstimme waren ihr größtes Kapital. Sie hatte, da machte sie sich nichts vor, nur wenige Jahre Zeit, um sie zu ihrem Vorteil einzusetzen.
»Bel, du bewegst dich wie eine lahmende Kuh. So wird das nie was«, riss Nilton sie aus den Gedanken. Nilton war der Kopf ihrer kleinen Samba-Gruppe. Er komponierte die Stücke, choreographierte den Tanz, erfand die Kostüme und hielt die Leute mit Strenge und wohldosiertem Lob bei der Stange. Bei dem
corso,
dem Karnevalsumzug durch die Straßen, würden sie im Vergleich zu anderen Truppen nicht schlecht dastehen, das wusste Bel mit Bestimmtheit. Nilton trieb sie alle an mit seiner Besessenheit, und er holte aus allen das Beste heraus. Sie hätte sich keinen besseren Lehrmeister wünschen können.
Dass ihre Eltern die Proben nicht ernst nahmen und in ihnen sogar einen unsittlichen Zeitvertreib sahen, ärgerte Bel maßlos. Die komplizierte und schnelle Folge der Sambaschritte einzuhalten war ja nicht nur das reine Vergnügen. Das Ganze hatte eindeutig artistischen Charakter und war, wenn man längere Zeit auf hohen Schuhen tanzte und noch dazu einen voluminösen Kopfputz balancieren musste, Schwerstarbeit für den Körper. Dass die kreisenden Hüften und die schweißglänzende Haut, von der zugegebenermaßen ziemlich viel zu sehen war, bei den Männern schmutzige Phantasien auslösten, war durchaus erwünscht. Doch niemand genoss den Anblick einer Tänzerin, die aussah, als würde sie sich abrackern. Ganz gleich, wie anstrengend es war, der Tanz musste sinnlich wirken und die Künstlerin entspannt. Wenn also Bel den Zuschauern ein lockendes Lächeln zuwarf, so geschah dies nicht in erster Linie, um die Männer verrückt zu machen, sondern es resultierte aus ihrem professionellen Ehrgeiz, die bestmögliche – und damit verführerischste – Darbietung zu geben, deren sie fähig war.
Und genau das war ihr gerade nicht gelungen. Nilton hatte recht gehabt: Sie hatte sich bewegt wie eine lahmende Kuh. Aber solche Kritik spornte sie nur an. Sie strahlte die Musiker an, verzauberte sie mit ihrem hinreißenden und makellosen Lächeln und stemmte die Hände in die Hüften: »Worauf wartet ihr?«
Als Bel zwei Stunden später nach Hause kam, fand sie ihre Mutter schlafend im Sessel vor. Auf schmerzenden Zehenspitzen schlich sie sich an ihr vorbei. Sie atmete auf, als sie die Treppe erreichte – doch in diesem Moment hörte sie ein scharfes »Halt!«.
Betreten wandte sie sich um. Dona Neusa gehörte unglücklicherweise zu jenen Menschen, die vom Tiefschlaf zur Hellwachphase nur eine Sekunde benötigten. »Wo hast du dich wieder herumgetrieben? Willst du, dass die Leute dich ein Flittchen nennen? Willst du dich einem dieser Lümmel hingeben, um dann so zu enden wie ich?«
Bel wollte natürlich nicht so enden wie ihre Mutter, aber in anderer Hinsicht, als diese es meinte. Niemals wollte sie so unförmig werden, so alt und so verbittert. Was indes so schrecklich daran sein sollte, mit einem wohlhabenden, klugen und gütigen Mann verheiratet und die Mutter von vier einigermaßen gut geratenen Kindern zu sein, das konnte Bel nicht wirklich nachvollziehen. Sie empfand es als Beleidigung, wenn ihre Mutter immer wieder über ihr vermeintlich schlechtes Los jammerte. Sie hatte es doch viel besser als die meisten anderen Frauen im Viertel. Und ohne ihren Mann wäre es ihr deutlich schlechter ergangen. Genau genommen hatte sie einen Glückstreffer gelandet.
»Keine Bange, ich lasse keinen der Burschen an mich ran. Und wenn die Leute dummes Zeug erzählen, dann nur, weil sie neidisch sind. Du solltest nicht so viel auf das Gerede geben.«
»Du siehst aus wie eine Straßendirne. Neidisch ist da sicher keiner drauf.«
»Ich
bin
aber keine Straßendirne, anders als etwa Paulinha, die sich ziert, wenn einer mit ihr tanzen will, und die immer so keusch tut, obwohl sie schon mit mindestens zehn Männern hier aus dem Viertel … na ja, du weißt schon. Ich bin Tänzerin. Und im Karneval darf es ruhig etwas ausgelassener zugehen. Samba kann man nicht tanzen, wenn man so zugeknöpft ist.«
»Zwischen zugeknöpft und nackt muss es doch noch mehr geben, meinst du nicht? Mit einem leichten Sommerkleid könntest du bestimmt ebenso gut tanzen.«
»Es wäre aber nicht so sinnlich.«
»Klar erkannt. Und
Weitere Kostenlose Bücher