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Unter den Sternen von Rio

Unter den Sternen von Rio

Titel: Unter den Sternen von Rio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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angeschwollen war und sich allmählich dunkellila verfärbte, auf die Schnelle eine Arbeit ergattern? Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen traten. Sie schluckte schwer, um sie zurückzudrängen. Wenn sie erst einmal anfing zu weinen, würde sie nicht wieder aufhören können. Außerdem lag es sicher nur daran, dass sie demnächst ihre Regel bekam. Ihr Schicksal war nichts, was zu bejammern war. Nein! Sie war Bel da Silva, und von einem lächerlichen Rückschlag wie diesem würde sie sich gewiss nicht aufhalten lassen. Sie schluchzte leise auf und konnte das Unvermeidliche nun doch nicht mehr verhindern: Sie heulte drauflos wie ihr jüngster Bruder.
    Als es wenig später an der Tür klopfte, sagte sie mit nasaler Stimme zu dem unbekannten Störenfried, bei dem es sich nur um die Zimmerwirtin handeln konnte: »Es passt gerade nicht.«
    »Wann passt es denn besser?«, hörte sie einen Mann fragen.
    Sie richtete sich auf, rieb sich mit dem Rock das Gesicht trocken und gab sich alle Mühe, normal, das heißt: abweisend, zu klingen. »Sobald Sie mir eine gutbezahlte Arbeit beschafft haben.«
    »Schon erledigt. Also machen Sie jetzt auf.«
    »Und wenn Sie mir einen Arzt schicken, der sich meinen Fuß ansieht.«
    »Von mir aus.«
    »Und wenn Sie etwas Essbares mitbringen, das nicht annähernd nach Bohnen und Reis schmeckt.«
    »Wären der Senhorita ein paar frische
salgadinhos
recht? Ich hätte hier
bolinhos de bacalhau, empadas de camarão,
außerdem
pastéis de queijo
und …«
    »Schon gut, schon gut. Ich mache ja auf.« Bel hatte Mühe, nicht allzu eifrig zu wirken. Beim Gedanken an die erwähnten Leckereien – Kabeljau-Klößchen, Garnelenpastetchen, Käse-Blätterteig-Gebäck – lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Es war ihr völlig egal, wer der unerwartete Gönner war. Sie war so ausgehungert, dass sie auch einem stadtbekannten Meuchelmörder die Tür geöffnet hätte. Außerdem kam ihr die Stimme bekannt vor, sie konnte sie nur noch nicht genau zuordnen. Ob Beatriz ihr jemanden vorbeigeschickt hatte, Luíz vielleicht oder den schrecklichen Hausmeister Pinto? Nein, deren Stimmen waren es nicht. Oder … aber das konnte nicht sein. Das bildete sie sich bloß ein. Bestimmt war es nur Wunschdenken.
    Hoffnungsfroh humpelte sie zur Tür.
    Ihr Herz begann zu flattern.

10
    A ntónio betrachtete die Fotografie von Caro. Sie war ausgesprochen gelungen. Das glückselige Lächeln, das Caros volle Lippen umspielt hatte, war perfekt eingefangen, und im Hintergrund waren klar und deutlich das Meer sowie die bergige Silhouette Rios zu erkennen. Natürlich sah man wegen der Lederkappe und der Fliegerbrille erst auf den zweiten Blick, um wen es sich handelte. Aber für ihn lag Caros eigentliche Schönheit nicht in der Form ihrer schmalen, ein wenig nach oben gerichteten Nase, in dem schwungvollen Bogen ihrer dunklen Augenbrauen oder in dem makellosen Weiß ihrer Haut. Für ihn war sie schön, weil sie seinen Sinn für Abenteuer und Nervenkitzel teilte. Das gab es selten bei Frauen, und wenn es noch dazu mit Intelligenz und äußerer Anmut gepaart war, dann war das wie ein kostbares Geschenk.
    Er konnte sie nicht einfach vergessen.
    Er würde seine Freundschaft zu Henrique opfern, wenn er dafür Caro bekam. Warum sollte er es nicht versuchen? Er war nicht der Mann, der beim geringsten Widerstand oder Hindernis aufgab. Er wollte diese Frau, wie er zuvor noch keine gewollt hatte. Er wollte seine Zukunft mit ihr teilen und Kinder mit ihr haben. Er wollte ihr die Welt zu Füßen legen und den Himmel mit ihr erobern. So sicher war er sich bisher bei keiner Frau gewesen. Er wusste, dass sie, und nur sie, für ihn bestimmt war. Und darum, so hatte er beschlossen, würde er um sie kämpfen.
    Zunächst galt es, den Kontakt wieder aufzunehmen. Die vergessene Fotokamera war dafür ein idealer Vorwand. Er würde sich vor ihrem Haus auf die Lauer legen und abwarten, dass der Hausdrache – Dona Vitória – ausging. Instinktiv wusste er, dass er von Caros Mutter nur Schwierigkeiten zu erwarten hatte, insbesondere wenn sie erfuhr, dass er der Sohn ihres größten Feindes war. »Carvalho-Pack«, dachte er kopfschüttelnd, wie war sie nur auf diese Bezeichnung verfallen? Seine Eltern waren bestimmt nicht ohne Fehler, aber als »Pack« konnte man seine Familie beim besten Willen nicht betrachten.
    Er erkor einen regnerischen Tag für sein Vorhaben aus – die Chance, dass Caro ihn hineinbitten würde, war bei Regen deutlich höher.

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