Unter den Sternen von Rio
Kirchen, für die sie sich nicht im Geringsten interessierten, war die Stimmung im Haus auf einen Tiefpunkt gesunken. Allen schlug der Dauerregen aufs Gemüt. Sosehr sie sich auch zu beherrschen versuchten, so wenig gelang es ihnen. Ana Carolina spielte mit den beiden Gästen ein Gesellschaftsspiel nach dem anderen. Bei Mühle, Dame oder Schach musste abwechselnd einer aussetzen, und immer wenn die Reihe an ihr war, beobachtete Ana Carolina ihre Cousine und deren Ehemann abschätzig. Wie lästig ihr die beiden waren! Wie hatte sie nur jemals ihrem Besuch entgegenfiebern können? Marie war oberflächlich wie immer, sie hatte nichts anderes als ihre Figur und schöne Kleider im Sinn – und ihren Maurice natürlich. Der wiederum war für Ana Carolina kaum zu ertragen, derartig hohl war er. Manche Bemerkungen, die er in dem Glauben fallenließ, weltmännisch zu wirken, entlarvten ihn als den beschränktesten und rückständigsten Mann, dem Ana Carolina je begegnet war. »Die Neger müssen ja gelegentlich die Peitsche spüren«, gab er einmal wichtigtuerisch bekannt und schaute Applaus heischend zu Dona Vitória. Er hatte wohl gehofft, der Tochter eines Kaffeebarons und Sklavenhalters imponieren zu können. Die allerdings saß mit einer Handarbeit am Fenster und hatte ihn gar nicht gehört.
»Wie viele
Neger
kennst du denn, Maurice?«, hatte Ana Carolina gefragt.
»Genug, um zu wissen, dass das faule Kaffernpack hart angepackt werden muss.«
»Soso. Und du gehörst zu den Leuten, die ihnen Disziplin beibringen wollen? Wo du ja so ein Ausbund an Fleiß, Klugheit und Moral bist …«
»Hack doch nicht immer auf ihm herum«, ging Marie dazwischen. »Du bist doch selber streng mit diesem Mädchen, Mariazinha, weil sie sonst nicht spurt.«
»Ich bin streng mit ihr, damit sie ihre Arbeit, für die sie gut bezahlt wird, ordentlich erledigt. Und ich wäre genauso streng, wenn sie Alabasterhaut und weißblondes Haar hätte.«
»Tu doch nicht so«, warf Maurice ein. »Da ihr hier keine hellhäutigen Dienstboten habt, hast du ja leicht reden.«
»Wir haben keine, das stimmt. Aber drüben, beim Doutor Bernardes, gibt es ein Stubenmädchen deutscher Abstammung. Und der Anwalt Guimarães hat einen Gärtner italienischer Herkunft. Es sind sehr viele Auswanderer aus Europa hier, in der Mehrzahl arme, ungebildete Leute, und viele von ihnen nehmen uns die Drecksarbeit ab.«
»Für die du dir zu fein bist«, meinte Marie triumphierend.
»Du redest wie immer total am Thema vorbei«, entgegnete Ana Carolina.
»Und du hältst dich wohl für die klügste, modernste und schönste Frau der Welt? Anscheinend ist dir dieses
mistério das rosas
zu Kopf gestiegen.« Marie schaute ihre Cousine lauernd an. Ihr Onkel León hatte ihr die Anekdote erzählt, ihr aber eingeschärft, es für sich zu behalten. Jedes Mal, wenn die Rede darauf kam, würde Ana Carolina in sich gekehrt und mürrisch.
»Woher weißt du davon?«, zischte Ana Carolina.
»Das spielt doch keine Rolle. Ich weiß es eben. Die Neger sind nämlich nicht nur faul, sondern auch geschwätzig.«
Ana Carolina lächelte Marie böse an und sagte auf Portugiesisch: »Höre ich da einen Funken Neid heraus? Hat dir dein Tölpel von Maurice denn nie solche Überraschungen bereitet? Nein? Er musste wohl nicht lange um dich werben, wie ich dich kenne, hast du es ihm sehr leicht gemacht.«
»Du gemeines Biest!«, fauchte Marie. Sie nahm die Hand ihres Mannes. »Komm, Maurice, ich habe keine Lust mehr zu spielen.«
»Ja«, höhnte Ana Carolina, »nur los. Soviel ich weiß, habt ihr die Kirche Nossa Senhora da Candelária noch gar nicht besucht. Vergesst nicht, eure Sünden zu beichten.«
Die beiden verließen den Salon. Kaum schloss sich die Tür hinter ihnen, wandte Dona Vitória sich ihrer Tochter zu. Ana Carolina erschrak. Sie hatte ihre Gegenwart völlig vergessen, weil sie sich während des Disputs ganz still verhalten hatte.
»Möchtest du mir irgendetwas erklären?«, fragte Dona Vitória.
»Wieso sollte ich? Du hast uns doch die ganze Zeit belauscht.«
»Werde nicht frech, Fräulein. Es ist ja nicht meine Schuld, wenn ihr eine ältere Dame einfach so vergesst.«
»Mãe«,
stöhnte Ana Carolina und verdrehte die Augen. »Sei so gut, hör bitte auf mit diesen Haarspaltereien und sag einfach, was du von mir willst.«
»Na schön. Ich will, dass du dich in Geduld und Nachsicht übst. Marie und Maurice können schließlich nichts für diesen schrecklichen Regen. Ich will
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