Unter den Sternen von Rio
du’s gut. Sobald eine Jüngere auftaucht, die ihm besser gefällt, ist es aus.« Celestina Sampaio war die ungekrönte Karnevalskönigin Rios. Sie hatte in den vergangenen Jahren genau dort gestanden, wo in diesem Jahr Bel stehen würde. Sie war sehr schön, mit ihren mittlerweile 28 Jahren allerdings an der Schwelle zu einem Alter, in dem Frauen bereits als »reif« betrachtet wurden.
»Ich weiß nicht, wovon du redest«, erwiderte Bel steif.
»Nicht?« Celestina lachte bitter auf.
»Nein. Ist es etwa meine Schuld, dass ich besser aussehe als du, besser tanze und besser singe?«
»Ich wette, du machst auch was anderes besser.«
Bel konnte sich ungefähr vorstellen, was gemeint war. Sie hatte die anderen über Senhor Pereiras Unersättlichkeit und seine Vorliebe für junge Mädchen tuscheln hören. Ihr gegenüber war er jedoch stets korrekt und nie anders als höflich distanziert gewesen. »Ich mache
es
gar nicht. Vielleicht ist das das Geheimnis. Ihr anderen verkauft euch zu billig. Na ja, ihr seid ja auch irgendwie … billig.«
Zack. Bevor sie es hatte kommen sehen, hatte Celestina ihr eine Backpfeife verpasst. Na warte, dachte Bel, dir werd ich es zeigen! Wütend stürzte sie sich auf die andere, die vor ihr auf den Gang floh. Dennoch erwischte Bel sie. In wenigen Sekunden artete das Ganze zu einer handfesten Schlägerei aus.
Andere Kollegen aus dem Studio wurden darauf aufmerksam. Erst kam Augusto, der Laufbursche, der noch versuchte dazwischenzugehen. Als er jedoch von Bels Krallen im Gesicht gekratzt wurde, zog er sich schnell wieder zurück. Dann kamen ein paar Statisten und unbedeutende Darsteller von Nebenrollen aus ihren Gemeinschaftsgarderoben, um zu sehen, was der Tumult zu bedeuten hatte. Der Kameramann, der gerade Mittagspause machte, war ebenfalls schnell zur Stelle und ärgerte sich, dass er die Szene nicht filmen konnte. Es folgten alle möglichen Techniker und Handlanger. Sie alle johlten und feuerten ihren jeweiligen Liebling an. Es fehlte nicht viel, und es wären wie bei einem Hahnenkampf Wetten auf den Ausgang der Schlägerei abgeschlossen worden.
»Stopp!«, rief jemand, doch Bel und Celestina waren blind und taub für alles um sie herum. Ihr Kampf wurde immer erbitterter, und sie führten ihn mit allen erdenklichen, auch unlauteren Mitteln. Sie boxten einander in den Unterleib, rissen an Haaren oder gruben ihre Fingernägel in das Fleisch der Gegnerin. Bel biss Celestina ins Ohr, Celestina drückte Bel den Daumen ins Auge. Sie hörten erst auf, als plötzlich eine Peitsche auf sie niedersauste.
Wie aus einer Trance erwacht, blickten beide auf. Fernando Pereira stand vor ihnen, die Peitsche in der Hand. »Ich habe euch mehrfach aufgefordert aufzuhören. Ich musste zu solchen Mitteln greifen«, sagte er in halb entschuldigendem, halb tadelndem Ton. Er war stolz auf sich und seine schnelle Reaktion. Er hatte einen Burschen nach draußen geschickt, um sich bei einem Kutscher die Reitgerte auszuleihen. Trotz der zunehmenden Zahl von Automobilen fuhren immer noch viele Pferdedroschken in der Stadt herum, und einige von ihnen standen, in Erwartung sparsamer Fahrgäste, genau vor dem Gebäude.
Bevor Bel und Celestina ein weiteres Mal aufeinander losgehen konnten, wurden sie von den Umstehenden festgehalten.
»Das führt doch zu nichts«, meinte Gregório, der momentane Liebhaber von Celestina.
»Du kannst dir das nicht leisten«, befand Augusto, während er Bel behutsam die Wunden abtupfte.
»Das wirst du mir noch büßen«, knurrte Celestina.
»Alte Schlampe!« Bel spuckte vor der anderen auf den Boden.
So ging es noch eine Weile, bis die beiden Kämpferinnen weggeführt und beruhigt werden konnten.
Bel war außer sich vor Empörung. »Wie konnte sie nur!«, schimpfte sie, als sie wieder in ihrer Garderobe war, wo sie sich im Spiegel begutachtete und verarztete. Augusto reichte ihr wortlos Wattebäusche. »Wie ich aussehe! So kann ich unmöglich auftreten. Sieh nur, Augusto, da wird es schon dick. Und da blau.« Sie tupfte und drückte an sich herum, und tatsächlich traten allmählich die blauen Flecke in Erscheinung. »Ich habe ihr doch gar nichts getan. Ist es vielleicht meine Schuld, wenn Senhor Pereira findet, dass ich besser bin als sie? Warum verprügelt sie ihn nicht?«
»Ach, Bel …«
»Das ist der Lauf der Dinge. Sie wird alt, damit muss sie sich abfinden. Wenn ich erst über 25 bin, werde ich auch nicht mehr mein welkes Fleisch zur Schau stellen. Sie hat
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