Unter der Hand (German Edition)
Worin die Mutter einen Angora-Pullover mit Seidenschleife trägt, die ist herrlich kühl, und ich darf die Wange anlegen. Der Rest des Pullovers ist dagegen fellweich und gastlich, ich glaube, wir singen:
Der Wächter tutet in sein Horn und stille sind die Straßen vor unserm Hause nur der Born kann nicht vom Plaudern lassen wir wollen schlafen gehen
.
Auch im Traum verstehe ich, wie einst als Kind, nicht, was
Born
heißt, hat man dem Wort das
ge-
abgeschnitten? Ist es englisch? Weil die Kleine so kurz war, war sie nur
-born
und nicht
geborn
? (Das denke ich natürlich erst beim Aufwachen, vielmehr beim Schreiben, aber so soll es ja auch sein: Das Finstere ans Licht zerren.)
Morgens weckt mich Franz, der einen Schlüssel zu meiner Wohnung hat, indem er sich über mich beugt und so intensiv beäugt, als befürchte er einen stattgehabten Exitus. Noch nicht!, sage ich und schlage die Augen auf. Franz riecht gut nach Herbst, also Laub, Holzfeuer und Wind. Dabei ist noch Sommer. Menschen, die angezogen sind und von draußen kommen, lösen bei den Daheimgebliebenen, bei den Langschläfern erst recht, sofort Sehnsucht nach stürmischer Korrektur aus. Und Beklemmung wegen der anhaftenden Häuslichkeit, der über Nacht angestauten Hässlichkeit.
Mein Körper ist eine einzige Vermisstenanzeige, sage ich zu Franz, er vermisst alles: Wärme, Leidenschaft, Zärtlichkeit und Frohsinn.
Mal sehen, erwidert Franz, mal sehen, was wir davon bei den Fundsachen haben. Und zieht sich aus.
Am Fenster lässt sich ein Marienkäfer nieder, sorgfältig ordnen sich die winzigen Flügel nach dem schwirrenden Aufsetzen wieder zur glatten, kompakten Wölbung. Ich zähle sieben Glückspunkte.
Sieben
Der Vormittag beginnt hektisch, ich muss nach Bogenhausen zum Blumenversorgen, eine Weltreise von mir aus, und ich muss eine Stunde früher als sonst in der LERNHILFE sein; Parwiz hat morgen eine wichtige Prüfung.
Ich wähle den richtigen Schlüsselbund aus, der an dem kleinen, schmiedeeisernen Pferdchen – was sonst! – hängt, dessen Beine in Häkchen übergehen. Ich habe Etiketten an den Schlüsseln befestigt, um sie identifizieren zu können. Aber selbstredend nicht mit den echten Namen, sondern mit selbst gewählten. Heute also zu den
d’Annunzios
, die mal wieder einen längeren Forschungsaufenthalt angetreten haben. In den USA, sie sagen nie
Amerika
, sie sprechen von den
Vereinigten Staaten
. Ich nenne sie
d’Annunzio
, weil sie ihr Haus mit schwülen Blumen, mit weißen Calla, weißen Lilien, weißen Gladiolen schmücken, selbst dann, wenn ihr Aufbruch gerade bevorsteht. Und ich muss das Verwelkte entsorgen, das brackige Wasser, die schleimigen Stängel. Nichts stinkt verrotteter als schales Blumenwasser, die edlen, betörenden Blüten duften oben und faulen unten. Außerdem gibt es viel Klimt, viel Stuck, viel Leopardenmuster auf Polstern, Kissen und Vorlegern. Gusseiserne Kerzenhalter an den Wänden. Die Alarmanlage löst jedes Mal bei mir einen Schweißausbruch aus, ich muss sehr schnell und sehr koordiniert mehrere Codes eingeben, sonst schrillt sie los.
Ich gehe mit der Messingkanne durch die Räume, meine Gedanken schweifen: Wird Vico je lesen, was seine Bevollmächtigte zu Papier bringt? Er bezahlt mich bekanntlich für die Lebenskunst; das größte Kunststück von allen. In dem Fall müssten meine Seiten einer Übersetzerin anvertraut werden, die selbstverständlich gleichzeitig und in Personalunion Vicos Geliebte ist und Selbiges – das Übersetzen – als Liebesdienst auffasst. Von einer
bellissima germanista
hat Vico mir einmal mit Zungenschnalzen und Lippenlecken vorgeschwärmt (ich glaube, alles, was mit Deutschland zu tun hat, bekommt von ihm das Beiwörtchen
bellissimo
). Von einer Germanistin, die wie fast alle Geisteswissenschaftler in Italien nicht im erlernten Beruf, sondern anderswo arbeite: beim städtischen Gesundheitsamt in der Verwaltung. Dort fällt sie, wette ich, mit dem schönen Schmuck, mit dem Vico sie anstelle dicker, weicher Umschläge entlohnt oder beschenkt, sehr auf. Beim Tippen hängen die schweren Armbänder durch und klopfen einen kostbaren Rhythmus auf die furnierte Schreibtischfläche. Die Vorstellung, dass diese Seiten unter Umständen im Gesundheitsamt in eine neue Sprache, nämlich Italienisch übertragen werden, ist nicht ohne Reiz und Ironie. Erneut die italienische Kur, der sich die Urheberin bereits unterzogen hat.
Vico ist selbstverständlich verheiratet, übrigens mit einer
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