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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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vorstellen, beides ist abwegig, ich warte einfach stumm ab, dass sie fortfährt. Der Wecker auf ihrem Nachttisch tickt laut, eine Anmutung von Verlässlichkeit, durch die zugezogenen Stores dringt mattes Licht, wir sitzen nebeneinander auf den großen Blüten der Decke wie zwei Übriggebliebene. Und die Jahrzehnte, die uns trennen, werden unter Lottes Erinnerungen so unbedeutend wie ein Umblättern. Am liebsten würde ich die Luft anhalten, um der Unausweichlichkeit dieser Nachfolge zu entkommen.
    Und dann haben wir es geschafft, aufs Schiff, Richtung Dänemark, alle vier, mit Erfrierungen, zwei Brüder gefallen, nichts mehr gefühlt, nur noch, was im Weg war, weggetreten, gestoßen, geschubst.
    Lotte atmet tief ein, die ganze Zeit ist der Gürtel in ihren Händen, befingert und abgelesen.
    Noch was, sagt Lotte und hält in der Bewegung inne, essen Sie niemals Pferdefleisch!
    Dann gibt sie sich einen Ruck, der Gürtel gleitet zu Boden, ringelt sich zu meinen Füßen. Ich steige sehr vorsichtig darüber, als könne er es sich anders überlegen und wieder lebendig werden.
    Wir stopfen eine Zeitlang schweigend die Kleidungsstücke in Säcke, die Lotte auf den Boden wirft. Ich bin so verblüfft über ihre im Handumdrehen wiedergewonnene Fassung, dass ich verstumme. Bei einem gemusterten, vielfarbigen Kleid zögert sie kurz – mögen Sie das? Ich erschrecke, ich weiß nicht recht, ob sie meint, für mich selbst oder einfach nur fragt, ob es mir gefällt. Ich weiche aus, sage, ich sei nicht der Typ, der Kleider trägt oder Muster mag. Eher schon Erdtöne und Männerhosen, oder wenn überhaupt: schmale Röcke, strenge Linien.
    Pferdewirtin eben!, ruft Lotte und entsorgt das Kleid.
    Auch mir hat es nie gefallen, mein Mann hat es mir in Meran gekauft, dort war er oft ohne mich, mit Künstlern, vermutlich haben die das ausgesucht. Ich habe es praktisch nie getragen. Wenn er ein schlechtes Gewissen hatte, hat er viel ausgegeben, wenn er kein schlechtes Gewissen hatte, hat er nichts ausgegeben und ist mit leeren Händen zurückgekommen, nur
du weißt ja, dass ich dich liebe
mitgebracht.
    Ich kann bei dem plötzlichen Registerwechsel Lottes immer noch nicht mithalten und bleibe schweigsam. Sie dagegen wird furchterregend eifrig, als müsse sie dem Gürtel beweisen, dass er ganz unbedeutend ist. Als es klingelt, schlägt sich Lotte mit der Handfläche gegen die Stirn: Der Mann von der Versicherung!
    Ich muss hinuntergehen und ihn empfangen, weil sie es für unerlässlich hält, sich umzuziehen. So, meint sie und deutet auf ihren unauffälligen Strickpullover, so könne man einem Versicherungsagenten nicht gegenübertreten.
    Der Mann hat einen großen Koffer in der Linken, groß wie von einem Tierarzt, und vermutlich unterstellt er auch, dass er zu Schafen und Kühen, dummen Kühen unterwegs ist. Die Krawatte ist eng geknotet, sie beengt den unruhig auf und ab rutschenden Adamsapfel gehörig, dazu grell gemustert wie die Radfahrertrikots der Berner, die Schnitte auf den glattrasierten Wangen glänzen frisch.
    Ich führe ihn in Lottes Wohnzimmer, schalte die Stehlampe ein und die kleine Leuchte am Fernsehgerät, sodass Herr Weiß gut ausgeleuchtet ist. Seinen Namen hat er mir verraten, während er mir so fest die Hand drückte, dass ich sofort böse Absicht oder eine erfolgreiche Mitarbeiterschulung dahinter vermutete. Er wünscht Wasser, sagt
danke
und
bitte
und
keine Ursache
in der richtigen Reihenfolge. Im Sitzen zieht er die Hosenbeine etwas hoch, damit keine Kniebeulen entstehen. Ein Stück behaartes Bein ist zu sehen, vom zu engen Strumpfsaum ähnlich bedrängt wie der Adamsapfel von der Krawatte. Im Hinausgehen stelle ich das Fenster schräg, das Rasierwasser verschließt mir die Bronchien. Noch gab es keine Gelegenheit zum Geständnis, dass ich allergisches Asthma habe und auf bestimmte Männerdüfte mit heftiger Abwehr reagiere. In geschlossenen Räumen jedenfalls.
Bella Italia
hat Vico und mich vor solchen Proben verschont, wir haben uns ausschließlich luftgebadet getroffen. Wer dahinter eine schwierige Vaterbeziehung wittert, läge vermutlich richtig. Aber das ist wahrlich abgestanden, wer hat schon heitere Verhältnisse, wer hat schon die richtigen Eltern? Der Wunsch, mich ungeschehen zu machen, ist jedenfalls ein ebenso ausgeprägter wie frommer.
    Herr Weiß schaut mich erwartungsvoll an; während meiner gedankenverlorenen Abwesenheit hat er einen dicken Ordner aufgeschlagen, in dem, folienvertäut, Formulare und

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