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Unter der Hand (German Edition)

Unter der Hand (German Edition)

Titel: Unter der Hand (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Leupold
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tatsächlich ziemlich schwer: Bücher, ein Trainingsanzug, Hausschuhe, Rasierer, Zahnbürste und Hanteln, die unter meinem Bett lagen; schon so lange unbenutzt, dass sie nun wie Geröll aus früheren Zeiten wirken.
    Zu Anfang unserer Liebesbeziehung oder dessen, was wir dafür hielten, lag Franz oft nach der Arbeit ausgestreckt auf dem kleinen Bettvorleger und trainierte seine Armmuskeln. Er nannte das Wegstemmen. Was willst du wegstemmen?, hatte ich gefragt. Und Franz hatte geantwortet: Wenn ich es wüsste, bräuchte ich es vermutlich nicht.
    Manchmal hat er mich aufgefordert, mich bei seinen Leibesübungen mit angewinkelten Beinen auf seine Schienbeine zu setzen, als Gegengewicht. Ich tat es und schaute zu, wie der Oberkörper allmählich ölig wurde vom Schweiß.
    Ich krieche unter die frisch bezogene Decke in mein Bett. Das brummende, tiefe Rotieren der Waschmaschinentrommel, in der die letzten Hinweise auf Franz gerade gelöscht werden, dringt wie das Holzschlagen aus einem fernen Wald zu mir.
    Ich habe solche Herzenslust nach dir, Heinrich. Schlag mich auf wie ein Buch, vertief dich in mich.

Achtzehn
    Parwiz und ich sitzen zum ersten Mal in den alten, neu angeschafften Ohrensesseln in der LernForm: dazwischen ein runder Tisch mit Spitzendecke. Parwiz meint, es sähe aus wie bei seiner deutschen Oma. Die Dekoration im Seitenfenster ist dafür jünger geworden; auf Plastikpalmen turnen Stoffschimpansen und essen Kunstbananen. Den Schimpansen ist ein Lachen festgenäht worden, sie erinnern grausig an die Szene in dem Film
Cabaret
, in der der Conferencier, als Äffin verkleidet, seine antisemitische Nummer abzieht.
    Parwiz kennt den Film nicht, an solchen Unterschieden merke ich, wie alt ich bin. Wenige Filme überspringen Generationen, Musik schon eher. Bücher auch. Mein Versuch, ihm Film, Stoff, Atmosphäre im braun gefärbten Berlin nahezubringen, scheitert kläglich, Parwiz verdreht die Augen und sagt: Schon wieder! Ihr seid immer so zufrieden, wenn ihr euch über die Vergangenheit empören könnt. Ärgere dich doch mal über die Gegenwart!
    Ich sage: Das schließt sich doch gar nicht aus. Und verstumme.
    Es bleibt zäh, wir sind beide lustlos und abgelenkt. Im Raum gibt es zwei weitere Schüler-Lehrer-Paare, nicht aber Heinrich und Anja. Ich überlege, ob er bewusst andere Tage ausgewählt hat, um mir nicht hier zu begegnen. Wie geht’s mit dir und Anja?, frage ich Parwiz, auch, um ihm zuvorzukommen: Ich habe ihm angesehen, dass er nach Heinrich fragen wollte.
    Passt schon, sagt Parwiz. Jedenfalls meistens.
    Bei einer Erörterung musst du schon ein bisschen mehr reden, sage ich, bin aber zu früh stolz auf den versöhnlichen Ton (nach dem Streit) und auf die zudem pädagogisch wertvolle Intervention, denn Parwiz antwortet wie aus der Pistole geschossen:
    Noch ist die Integration nicht abgeschlossen – danach vielleicht.
    Ich muss lachen, schaue mit vermutlich auf ihn dümmlich wirkender Begeisterung in sein junges Gesicht und habe das bestürzende oder gute Gefühl, mir durch den Augenkontakt einen winzigen Teil seiner Zukunft anzueignen.
    Was machst du jetzt?, fragt er mich, als wir eine Stunde später an der Affendekoration vorbei ins Freie treten.
    Ich erkläre ihm, dass ich zur Haus- und Blumenversorgung nach Bogenhausen fahren muss, und er staunt darüber, dass es so etwas als Broterwerb gibt. Wo sind denn die Besitzer?
    Unterwegs.
    Ich komme mit, geht das?
    Wirst du nicht zu Hause erwartet; zum Essen?
    Parwiz sagt, dass Mahlzeiten bei ihnen nicht so eine Rolle spielen würden. Außerdem hätte er Stress mit seinen Halbgeschwistern. Nie nennt er sie einfach nur Geschwister.
    Weil auf dem Schlüsselanhänger
Bauhaus
steht, fragt er nach dem Grund und bekommt bereits in der U-Bahn einen kleinen architekturgeschichtlichen Vortrag zu hören. Die Erinnerung an meinen Vater ist blass, aber wenn ich ins Vortragen falle, fühle ich mich als seine Tochter. Es wurde, wenn er ansetzte, auf der Stelle bleiern, als Kind hatte ich sogar die Vorstellung, in mir würde sich alles in sanduhrkleine Körner auflösen und mich durchrieseln, bis die obere Hälfte leer ist, gedankenlos. Nichts ging mich etwas an, nichts betraf mich. Es war kein Sprechen, keine Anerkennung des anderen im Raum, Reden war lediglich eine wortreiche Variante des Schweigens. Der Vortrag ergoss sich wie Siegellack über Vater und Tochter und verschloss sie.
    Ich breche meinen Vortrag also mitten in Dessau ab, Parwiz schaut verwirrt.
    Wieso

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