Unter der Haut (German Edition)
gibt es nicht mehr, heutzutage sind alle Farmen mit normalen Elektro- oder Gasherden, mit elektrischem Licht, fließend Wasser und Kühlschränken ausgestattet.
Es war das Jahr, als – man kann nicht gerade sagen, dass es ein wichtiges Ereignis war, jedenfalls nicht, wenn man es etwa mit Entscheidungen auf nationaler Ebene vergleicht, aber ich denke manches Mal daran zurück, und es bekommt eine immer größere Tragweite, denn es geht dabei nicht nur abermals um Zeitmaße, die exakten Uhren, die alle Lebensabläufe beherrschen, sondern auch um den grausamen Zufall.
Ich blieb allein auf der Farm zurück, während Nachbarn meine Eltern nach Salisbury brachten, weil mein Vater wieder krank war. Ich musste auf einen Brutkasten voller Eier aufpassen, die kurz vor dem Ausschlüpfen der Küken waren. Meine Eltern wiederholten beide unablässig hilflos, dass sie mich nicht allein lassen sollten, ein Mädchen von siebzehn und so weiter, aber schließlich fuhren sie ab, und ich war zu meinem Triumph allein in meinem Haus, das für mich war wie eine zweite Haut. Es war kalt, sehr kalt, es herrschte die trockene, bittere Kälte des Winters auf dem hohen
veld
, wenn der Busch zum Gespenst seiner selbst wird, die Fußsohlen morgens auf den Steinen taub werden, die Hände anschwellen und nicht mehr zupacken können. Der Brutkasten stand in einem kleinen Zimmer am Ende des Hauses. Das alte Fenster und die verzogene Tür ließen jeden Kältehauch hinein, und unter dem Strohdach schien der Frost zu stehen. Unter dem Brutkasten stand eine Laterne mit Kerze, deren Hitze sich durch Rillen zwischen den Eiern verteilte, aus denen in nur fünf Tagen die Küken ausschlüpfen sollten. Wenn nun die Kerze ausging? Ich konnte die Flamme im Luftzug flackern sehen: Wenn sie verlosch, würden sechs Dutzend Küken in ihren Schalen eingehen, und ich wäre die Mörderin von zweiundsiebzig kleinen Lebewesen. Ich verstopfte die Ritzen an den Fenstern und der Tür mit Stofflappen. Die Hunde, die sonst niemals ausgeschlossen wurden, jaulten und warteten. Die Katzen, deren Gefühle verletzt waren, miauten und schmollten. Ich verließ kaum noch das Zimmer, in dem das Drama unsichtbar seinen Lauf nahm. Ich legte mich aufs Bett und las und schaute ständig nach, ob die Kerze noch brannte. Wenn wir nun keine Kerzen mehr hätten? Oder Streichhölzer? Neben den Brutkasten stellte ich eine mit einer alten Daunendecke ausgelegte Seifenkiste, in die ich die Küken setzen wollte, wenn sie ausschlüpften. Draußen in den Hühnerställen liefen Hennen, die noch nichts von ihrem Schicksal ahnten, den Hähnen nach. Alle drei bis vier Stunden besprengte ich die Eier vorsichtig mit lauwarmem Wasser und stellte mir die Embryos darin in all ihrer Scheußlichkeit vor. Ich drehte die Eier, wie eine Henne sie drehen würde, die dafür sorgte, dass ihre großen Füße kein einziges Ei ausließen, und ich brütete über den Eiern, als hinge die Zukunft an zweiundsiebzig Küken.
Dann wachte ich in einer windigen, bitterkalten Nacht auf, und die Kerzenflamme war aus, nur die Lampe schien noch auf das Strohdach, die weißen Wände, den Brutkasten. Ich lief rasch zu den Eiern. Sie waren abgekühlt, aber noch nicht kalt. Ich steckte die Kerze an. Ich breitete die Daunendecke über die oberste Lage der Eier. Waren sie tot? Ich würde es erst wissen, wenn die Zeit zum Ausschlüpfen gekommen wäre. Unterdessen kam ein Anruf aus Salisbury: Mein Vater sei schwer krank, müsse vielleicht sterben, und ich müsse einfach die Stellung halten. Die Stimme meiner Mutter war, der Häufigkeit solcher Ankündigungen zum Trotz, so dramatisch wie immer – aber ich hörte nicht mehr hin, konnte nicht mehr hinhören, mit Ankündigungen von Katastrophen sollte man sparsam umgehen.
Dann kam der Tag, an dem die Küken ausschlüpfen sollten. Ich ließ die Eier nicht aus den Augen. Dies war der Moment der Wahrheit. Nie, niemals ist die Zeit so langsam vergangen – das heißt die Erwachsenenzeit. Ich saß in einem kleinen Zimmer, in dem die Luft so kalt zu liegen schien wie ein kalter Wasserstrom, und dann … Dann erschien auf einem Ei die kleine raue Stelle, die bedeutete … Ich hielt das Ei ans Ohr und hörte das Klopf-klopf-klopf des unsichtbaren Kükens. Vor Aufregung und Erleichterung brach ich in Tränen aus. Das scheußliche Küken purzelte aus der Schale, trocknete und war sofort süß, das nächste kam herausgepurzelt … Bald lagen überall auf den rissigen Eiern die nassen,
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