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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Sohn, der sich mit einem Schutzpanzer umgab.
    Es war nicht Hitler allein, sondern Mussolini in Abessinien und der Bürgerkrieg in Spanien, alles zusammen, was meine Eltern für den Anfang des Krieges in Europa verantwortlich machten.
    Ich stand an einen Baum gelehnt am Rand des Feldes, auf dem der Tabak nicht gediehen war, durch den manche Farmer reich wurden, blickte in einen roten, dramatischen Sonnenuntergang und dachte so intensiv über Spanien nach, dass es mir vorkam, als wäre ich dort. Warum war ich nicht dabei? Eine britische Brigade kämpfte dort für die Erhaltung der Demokratie, und wenn ich es klug anstellte, konnte ich vielleicht nach England gehen und von da aus … Aber woher sollte ich das Geld für die Schiffspassage nehmen? Ich war siebzehn, und sie würden mich nicht wollen … Die Bücher, die ich über Frauen gelesen hatte, die Krankenwagen fuhren, als Krankenschwestern arbeiteten, Feldlazarette in Frankreich, Russland, Serbien führten, die Erinnerungen meiner Mutter an das Royal Free Hospital – all das vermengte sich zu jener satten, angenehmen Melancholie, die der Jugend von Natur aus innewohnt – angereichert mit den ersten Anzeichen jener Überspanntheit, jenes heimlichen Stolzes auf das Leiden, das zum Krieg gehört, die Kehrseite des alten Soldatenspruchs: »Diese Art von Kameradschaft habe ich seitdem nie wieder erlebt!« Trauermelodien, elegische Klagelieder …
    Fallende Blätter
    Jedes einzelne habe ich mit meinen Fingern gekannt,
    Ich trete auf sie
    und spüre, wie die dunklen Adern unter meinen
    Schritten platzen,
    Jedes einzelne habe ich viele Tage und Nächte
    gekannt,
    Mein Blut das ihre …
    Dieses Gedicht hieß
Nach einem Krieg
, treffender wäre
Vor einem Krieg
gewesen.
    Doch was ich ernsthaft schrieb, war Prosa, ich verfasste meinen ersten Roman auf der geradezu monumentalen Schreibmaschine, aus dem fernen Johannesburg. Es war ein kurzer satirischer Roman, der sich manieriert und gestelzt über die Jeunesse dorée lustig machte, die jungen Weißen, von denen ich nur ganz am Rande etwas mitbekommen hatte. Es sollte kein Jahr mehr dauern, bis ich selber dazugehörte. Ihre Ambitionen und Privilegien wurden dem Leben der Schwarzen gegenübergestellt. Ich verfügte über zu wenig Wissen, um darüber zu schreiben. Auch dieses Produkt zerriss ich später, weil es mir unsäglich peinlich war. Gleich anschließend verfasste ich einen zweiten Roman, in einer Art Trance und geschrieben mit der Hand. Diesmal kam die Inspiration von Galsworthy, dessen Werke überall kursierten. Mich beunruhigte die Tatsache, dass seine Rhythmen mein Tempo bestimmten, denn mir war klar, dass er kaum das beste Vorbild war. Die Ausgaben der Everyman’s Library boten mir weit bessere: Die Bücher kamen am Bahnhof an und wurden mir zusammen mit der restlichen Post gebracht. Voller Sehnsucht nach dem Neuland der modernen Literatur öffnete ich aufgeregt die Päckchen. Am begierigsten las ich D. H. Lawrence, aber die intensive Körperlichkeit seiner Prosa, seine Art, England oder Italien heraufzubeschwören, war so direkt, so brutal, dass ich jedes Mal, wenn ich aus
Aarons Stab
und
Der Regenbogen
auftauchte, selber am Ort der Handlung zu sein meinte und auf die wilden Hügel Italiens zu schauen glaubte oder in einen Wald voller Glockenblumen in England – doch all dies half mir nicht weiter, da es zu sehr an eine eigene Welt, einen eigenen Ort gebunden war. Er muss mich beeinflusst haben, aber auf welche Weise, weiß ich nicht, da ich nichts mehr von dem damals Geschriebenen besitze. Ich zerriss Tausende und Abertausende von Worten und wandte mich wieder meinen Kurzgeschichten zu.
    Indessen wurden mir energisch andere Zukunftsperspektiven nahegelegt. Meine Mutter schlug vor, ich solle Krankenschwester werden, wie sie. Ich fuhr sie nach Salisbury. Das hieß, dass wir meinen Vater einen Tag allein lassen mussten. Mittlerweile hatte ich den Führerschein. An meinem sechzehnten Geburtstag fuhr ich allein zur Polizeistation in Banket. Ein sehr junger Mann von etwa zwanzig, der neueste Zuwachs der British South Africa Police, nahm neben mir auf dem Beifahrersitz Platz. »Fahren Sie dort hinunter«, befahl er. »Jetzt in den Rückwärtsgang und wenden.« Ich befolgte seine Anweisung. »Jetzt zurück zum Revier.« Damit war die Prüfung erledigt. Die Polizei war Farmkinder gewohnt, die seit Jahren fuhren und denen sie, wenn sie zur Prüfung kamen, häufig den Führerschein aushändigten, ohne dass sie auch

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