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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Allgemeingut, dass sich die Zyklen von Frauen, die ständig zusammen sind, auf den gleichen Rhythmus einspielen, und das ist nur der Anfang. Heutzutage wissen wir, dass sich in jeder Gruppe innerhalb weniger Minuten die Gehirnwellen auf einen gemeinsamen Rhythmus einstellen (
The Dance of Life
). Ja, natürlich, wir sollten uns genau überlegen, mit wem wir Umgang pflegen, aber junge Frauen im gebärfreudigen Alter verbringen nun einmal Zeit mit ihresgleichen. Wenn die Geburtenrate in einem Land zu wünschen übrig lässt, dann sorge man dafür, dass sich die jungen Frauen im gebärfähigen Alter täglich ein paar Stunden sehen. Ich war gelangweilt, ich war rebellisch. Ich hasste die morgendlichen Teepartys. Aber gleichzeitig konnte ich nicht abwarten, bis sie anfingen, und verabscheute mich deswegen. Wenn ich nach Hause kam, erzählte ich Frank, dass ich lieber sterben wolle, als noch ein einziges Mal zu einer dieser Partys zu gehen. Aber am nächsten Tag ging ich wieder hin. Und John, der von Anfang an in Gesellschaft aufblühte, fühlte sich dort wohl, denn er war von Natur aus neugierig und musste alles mitbekommen, was los war. »John, guckt euch John an, der fängt jetzt jede Sekunde an zu krabbeln.«
    Wir hatten einen »Boy« als Hausdiener. Jeder hatte Dienstboten. Gegen acht Uhr morgens waren die zwei, drei Zimmer sauber, und dann stand er schwatzend mit seinen Freunden hinterm Haus. Er kochte das Mittagessen. Frank brachte Kollegen zum Essen mit, und wir aßen und tranken, wobei Letzteres wichtiger war. Nach dem Essen schob ich John ewig, Ewigkeiten durch den Park und die Straßen. Am späten Nachmittag nahmen wir John mit in den Club oder zu Freunden. Und immer war der kleine Junge hellwach, beobachtete mit intelligenter Neugier alles, was vor sich ging, und versuchte ständig, sich hochzuziehen oder an denen, die ihn auf dem Arm hatten, hochzuklettern. »He, Tigger, Mann, guck dir das an, du musst völlig geschlaucht sein.« »Nein, nein, es geht schon«, leugnete ich bescheiden meine Erschöpfung. Wenn wir nicht ausgingen, sondern – was eher selten passierte – zu Hause blieben, dann kamen Leute vorbei, und der Diener richtete eine Mahlzeit. Für die Dienstboten war es völlig selbstverständlich, herumzulungern und zu warten, bis ihre Herrschaft vom Dämmerschoppen heimkam, denn es konnte ja immer sein, dass noch eine Mahlzeit gewünscht wurde. In unserem Fall hieß das, der Diener brachte den Morgentee um sechs, hatte fast den ganzen Vor- und Nachmittag so gut wie nichts zu tun, blieb aber meistens bis neun oder zehn Uhr abends auf. Gesetzlich festgelegte Arbeitszeiten gab es nicht. Frank und ich zahlten den Dienern überall, wo wir waren, weitaus mehr Lohn als üblich und nahmen den Ärger mit den Nachbarn in Kauf. »Sie verwöhnen sie. Man darf sie nicht über die Stränge schlagen lassen.« Dieselben Worte wie für kleine Kinder. »Man muss sie spüren lassen, wer das Sagen hat.«
    Alle Männer, die Frank mit nach Hause brachte, waren mindestens zehn, oft mehr Jahre älter als ich. Ich war Franks hübsche, neue, geistreiche Frau, und er war stolz auf mich. Ich ließ mich gern bewundern, meinetwegen und meines aufgeweckten Sohnes wegen. Der Mann, an den ich mich am besten erinnere, war ein kleiner, sandblonder, magerer, ironischer Schotte, ein Börsenmakler, Sonny Jameson, dessen Bemerkungen über diese provinzielle kleine Stadt aus einem Blickwinkel kamen, der so ganz anders war als das immer noch im
Rhodesia Herald
propagierte und von den meisten Leuten nachgeplapperte Klischee von der »Bewahrung der weißen Zivilisation« oder der »Förderung der Eingeborenen«. Er las viel. Von mir lieh er sich die Everyman-Bücher – und empfahl mir im Gegenzug die Römer. Wenn ich Südrhodesien verstehen wolle, meinte er, dann müsse ich die Römer lesen: Die Einstellung unserer Staatsmänner unterscheide sich in nichts von der eines römischen Prokonsuls in einer der Kolonien in Nordafrika oder Kleinasien. Das klang ziemlich subversiv für eine Beamtengattin. Standpunkte dieser Art vertrat er natürlich nicht in Gesellschaft.
    »In der Provinz muss man lernen, den Mund zu halten.«
    Das zweite Bemerkenswerte an ihm war, dass er, wie man sich erzählte, täglich eine Flasche Whisky leerte. Auf jeden Fall aß er selten etwas. Jahrelang lebte ich in der Annahme, dass er längst tot sein müsste, und hörte dann, dass er wohlauf war. Eine Geschichte, die Ernährungswissenschaftler nicht gerade beglücken

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