Unter der Haut (German Edition)
und nie das Radio ausstellten, unverändert weiter. Bei den BBC -Nachrichten verstummte jedes Gespräch, man hörte auf zu tanzen, und um jedes Radio versammelte sich eine Gruppe von Menschen. Es fehlte uns an nichts, das änderte sich erst, als keine importierten Waren mehr ins Land kamen. Männer lagerten Whiskyvorräte ein, und einige junge Frauen legten sich vorsichtshalber einen Vorrat an guten Lippenstiften an.
Ich wohnte wieder einmal in einem kleinen Hotel. Frank versuchte in einer bereits überfüllten Stadt eines der kleinen Häuser zu finden, die noch vor einem Jahr so leicht zu haben gewesen waren. Das Hotel war voller Frauen, die alle etliche Jahre älter waren als ich. Sie wollten nett sein zu diesem Mädchen und ihrem schwierigen, anstrengenden Kind. Aber ich saß mit John in meinem Hotelzimmer und nähte hübsche neue Kleider, und zwar mit außerordentlicher, um nicht zu sagen zwanghafter Sorgfalt, was die Details betraf. Heute frage ich mich, was ich da tat, als ich Innensäume paspelte und Schnittkanten umsäumte, die niemand sehen konnte, während ich sonst eher eine war, die schnell, aber geschickt improvisierte. Manchmal sieht man jemanden ein Haus oder eine Wohnung renovieren und, kaum fertig, wieder von vorne anfangen. Alles ist prima, alles ist tadellos, doch plötzlich hört man: »Irgendwas stimmt hier nicht, ich werde die Küche umbauen.« So geht das vielleicht alle zwei Jahre, perfekte Wände werden neu gestrichen, neue Küchen werden herausgerissen und durch andere ersetzt. Diese Leute bauen sich selber um, streichen die Wände ihrer Psyche … Ähnlich ist es, wenn eine ängstliche junge Frau ein Kleid auf links dreht und sorgfältig jede Naht inspiziert, jede Kante versäubert, die Nähte an der Taille und den Ärmeln paspelt, als wären sie an der Außenseite und nicht innen. »So kann nichts passieren«, sagt eine Stimme in ihrem Innern, weit hinter ihrem defensiv strahlenden Lächeln. »Ja, so ist alles in Ordnung – hoffe ich.« Genau wie sie viele Jahre zuvor ihren Teddy an- und ausgezogen und die tadellos zusammengelegten Sachen ordentlich in einen kleinen Koffer gepackt hat.
Die Frauen hatten keine Ahnung, was für Angst sie mir einflößten – woher auch? Es waren lauter anständige, freundliche, gütige Frauen. Ich beobachtete sie, wie sie den Vormittag und den Nachmittag lang schwatzten, Frauengespräche führten, über Männer, Kinder, Geld, Geld, Geld, wer ist schon gern eine Frau, die Kaffern werden frech, alle Männer sind Kinder … Ich hatte bei den Frauen im Distrikt zugehört, wie sie redeten und redeten, und hatte mir geschworen, nie so zu werden. Ich nicht! Zwanzig Jahre später wurde diese Art zu reden – die Kritik an den Männern, die Unzufriedenheit mit dem Los der Frauen – zum vorgeschriebenen Habitus der Frauenbewegung, wurde mit der Bezeichnung Selbsterfahrung geadelt, und es gab
Rap Groups
dafür, Frauengruppen.
Aus diesem Hotel zogen wir in ein paar Zimmer in einem Haus von Freunden. Von dort nicht in ein ganzes, sondern in ein halbes Haus. Sie alle lagen in Straßen, die nicht mehr als fünf Autominuten vom Stadtzentrum entfernt waren. Aus dieser Zeit stammt eine kurze, intensive Erinnerung an mein inneres Empfinden. Ich sitze allein auf dem Bett. Es ist Abend. Ich horche, ob das Baby schläft – das im Kinderbettchen liegt – direkt draußen vor dem Fenster. Insekten umflattern die nackte Glühbirne. Objektiv betrachtet sind es hübsche, zarte, hellgrüne, schlanke Insekten. Immer mehr von ihnen kommen aus der Dunkelheit zur Glühbirne geflogen. Das ganze Zimmer ist voll. Von irgendwoher kommt eine Katze, fängt ein Insekt, das einen ganz leisen Schrei ausstößt und immer weiterschreit, während die Katze mit ihm spielt, und erst aufhört, als die Katze es zermalmt. Wieder springt die Katze, ein neuer hoher Schrei. Das Mädchen sitzt auf dem Bett, hält sich die Ohren zu. Sie ist hysterisch. Sie könnte durchdrehen vor Angst. Obwohl der Verstand ihr sagt, dass es sich um harmlose Insekten handelt, fehlt nicht viel, und sie schreit selbst los. Der Insektenschrei dringt ihr bis ins Mark, wie noch vor wenigen Wochen das Kindergeschrei. Sie schleicht aus dem Zimmer auf die dunkle Veranda hinaus und setzt sich auf den kalten Zement in die Nähe des Kinderbettes und sieht zu, wie die Insekten über ihren Kopf hinweg ins Zimmer strömen. Sie weint hoffnungslos und ohne Sinn. Sie hält das Fäustchen des schlafenden Babys und weint.
Und dann
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