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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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wird.
    Stendhal – der Stendhal von
Rot und Schwarz –
war mein Freund und Verbündeter. Er ist der ideale Autor für Menschen, die sich irgendwo im Hinterwald gefangen fühlen.
    »In der Provinz …«
, so hebt manch eine tödliche Dosis Hass auf die Mittelmäßigkeit an, und ich labte mich an meiner Verachtung und ergänzte die Liste im Geiste gnadenlos.
    »In der Provinz gelten alle Sprachen außer Englisch als guttural.«
Das bestätigte sich 1992 in Harare:
»Das Deutsche ist so guttural.«
    »In der Provinz wird jedes Mädchen, das halbwegs lebendig ist, zur Nymphomanin.«
    »In der Provinz ist jede Frau, die eine eigene Meinung hat, rechthaberisch.«
    »In der Provinz ist alles, was nicht aus der englischen Küche kommt, fettig.«
Wenigstens ein Satz, den man nicht mehr zu hören bekommt.
    »In der Provinz bietet man Frauen automatisch süßen Wein oder süßen Sherry an. Die lieben kleinen Dinger mögen’s halt süß.«
    Als John neun Monate alt und kurz davor war, laufen zu lernen, entschlossen wir uns zum zweiten Kind. Und trotzdem war sich eine Hälfte von mir deutlich bewusst, dass ich nicht bei diesem Leben bleiben wollte. Ich hatte keinen ernsthaften Plan und kein Programm im Kopf. Nein. Ich träumte lediglich von einem Leben mit gleich gesinnten freien Geistern in Paris oder London. Ich gehörte hier nicht her. Trotzdem hätte sich jeder Beobachter leicht täuschen lassen, denn mir schien einfach alles prächtig zu gelingen. Aber wer war das wirklich, der alles so glatt von der Hand ging? Die blitzgescheite, spontane, amüsante Tigger, diese tüchtige und attraktive junge Frau. Die »clevere Tigger Wisdom« konnte zwar durchaus Bemerkungen fallen lassen wie: »Sei nicht so hart, Mann, so kann man das nicht sagen!« Oder solche, die unsicheres Lachen hervorriefen. Aber sie lebte dieses Leben, als wäre sie dafür geboren. War ich diejenige, die zuerst beschloss, dieses zweite Kind in die Welt zu setzen? Wahrscheinlich. Aber es entsprach dem Zeitgeist. Ringsum sagten die jungen Paare: »Lass uns noch ein Kind kriegen, wir bringen’s hinter uns, solange wir jung sind.« Drei oder vier Jahre zuvor hieß es: »In
diese
Welt Kinder setzen? Ich nicht, nie und nimmer!« Doch selbst als Frank und ich das Für und Wider eines zweiten Kindes diskutierten, hielten wir noch an unseren alten Träumen fest und redeten weiter davon, wie wir beide Kinder unter den Arm klemmen und durch Südfrankreich oder nach Paris ziehen wollten.
    Ich wurde noch in derselben Woche schwanger, in der ich das Pessar wegließ. Diese Verhütungsmethode gilt heute als unästhetisch, aber sie funktioniert. Wichtig ist nur, dass man sie selbstverständlich in den Alltag integriert. Im Eheleben ist das einfach, in einem Leben der Abenteuer und Affären jedoch nicht. Mir war sofort morgens übel, und mein Magen war empfindlich, aber ich wusste, das geht schnell vorbei. Und ich hatte mit John zu tun, der, ohne vorher zu krabbeln, gleich auf zwei Beinen lief und überallhin rannte – einmal sogar bis in das nahe gelegene
vlei –
das mittlerweile längst zugebaut ist –, und obwohl ich eine flinke Läuferin war, verlor ich ihn schnell aus den Augen. Ich ging aufgelöst von Haus zu Haus und bat die Leute, ihre Diener nach ihm auszuschicken. Gut eine Stunde später erschien eine Gruppe schwarzer Männer, die sich John gegenseitig zuwarfen und voller Bewunderung waren für diesen wackeren kleinen Jungen, der sich schon wieder mit aller Kraft zu befreien suchte, um erneut davonlaufen zu können. Ich wusste nicht, was ich mit ihm machen sollte. Gurte und Riemen verletzten seine Gefühle. Wenn ich ihm die Laufgurte anlegte, damit er mir nicht entwischen konnte, sah er mich mit einem Blick an, der sagte: »Du bist doch angeblich meine Freundin, wie
kannst
du mir so was antun?« Empörung, Ungläubigkeit, Anklage, entrüstete Schreie, und schließlich Tränen. Ich versuchte, ihn in den Arm zu nehmen, um ihn zu trösten. Wutentbrannt machte er sich in meinen Armen steif und schluchzte, während seine verständnislosen Augen mich anklagten. Also mussten wir in den Park, wo er frei zwischen den Blumenbeeten herumsauste und vor Vergnügen quietschte. Dann fing ich ihn ein, weil ich befürchtete, dass er aus dem Park laufen könnte, und setzte ihn in den Kinderwagen, wo er sofort aufstand und mir den Rücken zukehrte, damit er sehen konnte, wo es langging.
    Ich schob ihn stundenlang durch die Gegend, stundenlang! So kam es mir zumindest vor. Es

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