Unter der Haut (German Edition)
Sie? Das, was geschieht, wenn die Hand – oder das Hirn – der Autorin sich schlicht weigert, den nächsten Satz hinzuschreiben, weil Tony oder Susie drauf und dran ist, sich nicht ihrem Charakter entsprechend zu verhalten, ist alles andere als eine einfache Angelegenheit. Da spielt nicht nur der gesamte Bereich der Identifikation eines Schriftstellers mit seiner Figur eine Rolle, auch seine vielen möglichen Persönlichkeiten mischen mit. Und die haben schließlich ihre Grenzen. So würde zum Beispiel ein George Meredith sich nie einen Mörder wie Crippen als Figur aussuchen.
Ich dachte eine Zeit lang daran, ein Buch mit dem Titel
My Alternative Lives
zu schreiben, in der Tradition der Science-Fiction, die zum Teil mit den gleichen Ideen arbeitet wie die zeitgenössische Physik. Aber in meiner Handlung würde das Leben der Ärztin, der Tierärztin, der Farmerin und der Forschungsreisenden gleichzeitig mit meinem Leben stattfinden, und zwar in parallel existierenden Welten und »Wirklichkeiten«, die mein eigenes Leben ständig beeinflussen. Wie bei multiplen Persönlichkeiten, wo die in einer Frau oder einem Mann wirkenden Persönlichkeiten nur langsam miteinander in Kontakt treten, sollte die Heldin dieses Buches – argumentationshalber ich – allmählich mitbekommen, dass ihre verschiedenen Persönlichkeiten diese anderen Leben führen. Eine schöne Idee für ein Buch, aber mir bleibt nicht mehr viel Zeit.
Inzwischen war ich – was gut möglich gewesen wäre – keine der jungen Frauen, die mit dem Baby allein im möblierten Zimmer sitzen gelassen werden oder ins Elternhaus zurückkehren. Ich war die Gattin eines der Stadtväter. Ein Witz, den Frank gar nicht mochte. Ich hatte den Witz nicht aufgebracht – so gemein war ich nicht. Doch es gab viel Bitterkeit unter den Leuten, und die trug Früchte in den Witzen, die auf der Veranda des Sports Club kursierten. »Hey, Frankie«, ruft eine der Neuen und winkt auf dem Weg über die Veranda mit ihrem Hockeyschläger oder brüllt quer durch den Raum, wo sie in den Armen eines Mannes in Air-Force-Uniform zur Musik von
We’ll Hang Out the Washing On the Siegfried Line
tanzt, »hey, Frankie, wie gefällt dir denn das Leben als Stadtvater?«
Ich hingegen litt unter einer jener Umstellungen, auf die mich niemand vorbereitet hatte. Achtzehn Monate zuvor war ich – und mit mir alle anderen Mädchen – von jedem infrage kommenden Mann heftig umworben worden, und jetzt war ich unsichtbar. Man ging so respektvoll mit mir um, als wäre ich fünfzig, meiner wiedererworbenen schlanken Figur und meinem Mädchengesicht zum Trotz. Wer war der Star? John, Frank Wisdoms Sohn, der sich mit fünf Monaten ohne Hilfe aufsetzen konnte und an den Gurten zerrte, die ihn im Kinderwagen festhielten. »Guck dir dieses Kerlchen an, der kann es nicht abwarten, mit uns aufs Rugbyfeld zu kommen.«
Worüber redeten wir auf der Veranda noch? Fern von uns tobte der Krieg, und wir lebten von Gerüchten. Hitler würde Afrika von Kairo bis zum Kap überrennen und uns alle zu Sklaven machen. (Die Kaffern meinten allerdings, wie man uns erzählte, dass sich für sie dadurch kaum etwas ändern würde.) Unwahrscheinlich klang das nicht, denn Hitler hatte ganz Europa ohne große Schwierigkeit überrannt. Würde sich die schwarze Bevölkerung beim ersten Auftauchen seiner Streitkräfte erheben, sich mit ihnen verbünden und uns mit ihnen gemeinsam die Gurgeln durchschneiden? Diese Vermutung wurde nicht etwa voller Reue über unser Verhalten, das zu dieser Situation geführt hatte, geäußert, sondern voller Empörung über die Undankbarkeit der Dienstbotenklasse. Manchmal, wenn ich von jungen Leuten gefragt werde, wie die Rassentrennung früher war, schlage ich vor, dass sie sich alte
Punch
-Hefte aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg anschauen. Es gibt dort keinen Unterschied zwischen den Witzen über komische Hausmädchen und den Witzen über das absurde Verhalten der Arbeiterklasse. Inzwischen hatten wir erfahren, dass die Royal Air Force vorhatte, unser Land und Südafrika als Standorte für die Pilotenausbildung zu benutzen. Wir wussten nicht, dass uns damit Hunderttausende von Engländern, alles Männer, ins Haus standen, die in Lagern bei Salisbury und Bulawayo unterkommen sollten. Schon bald sollte eine neue männliche Bevölkerung unsere nach Norden eingezogenen Männer ersetzen. Unser Leben ging abgesehen davon, dass wir Tag und Nacht über die Nachrichten aus Europa diskutierten
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