Unter der Haut (German Edition)
gibt keine schlimmere Langeweile als die einer intelligenten jungen Frau, die den ganzen Tag mit einem sehr kleinen Kind zubringt. Beim Umherschieben verfasste ich im Kopf Gedichte.
REGEN
Schwer liegen Regenwolken auf den Bäumen in der Oberstadt,
Hier strömt der Regen über rostiges Blech,
Klatscht gegen geflickte Fensterläden,
Prasselt auf windschiefe Dächer.
Sturmwasser putzt die Gassen,
Schwemmt Bananenschalen, Stroh,
Kehricht, Schmutz und alte Lappen davon,
Gurgelt durch kaputte Flaschen,
Kriecht unter die wackligen Böden.
Schon sind feuchte Flecken an den Wänden.
Dünne Kindergesichter
Spähen durch die Ritzen
Auf ihren Spielplatz, die Straße.
Bald, wenn die Straßenlaterne leuchtet,
Schwimmen Gold, Purpur und Blau
Über den Asphalt.
Doch durch den grauen Regen,
Und den grauen Dampf auf der Straße
Läuft jetzt ein kleines schwarzes Kind,
Hält zitternd seine Lumpen und ein Fläschchen Milch umklammert,
Zum besseren Haus unter den Bäumen,
Wo die ungeduldig meckernde Zicke
Seine weiße Herrin wartet.
Diese konventionellen Verse sorgten für den ersten ernsthaften Ärger mit Frank. Er bezeichnete mich entrüstet als unfair und zeigte das Gedicht seiner Schwester Mary, die mich ebenfalls unfair fand. Aber seine Entrüstung hatte etwas Übertriebenes. Er starrte mich aus bösen und gekränkten Augen an, in seinem Gesicht den Ausdruck offener Anklage. Damit entstand zwischen uns eine Atmosphäre der Falschheit, der Unaufrichtigkeit, die zunächst nur periodisch auftrat. Wenn ein Mann sich durch die Arbeit oder die nicht auf ihn gerichteten Interessen seiner Frau bedroht fühlt, äußert sich das häufig indirekt. Frank war immer dafür, dass ich mir eine Stelle suchte, wenn es sich ergab, und dass ich schrieb, wenn ich Zeit hatte. Aber ich war dabei, ihm zu entwachsen, rapide zu entwachsen, und das spürte er, obwohl ich nicht liebenswürdiger, zugänglicher, bei keiner Bitte schneller zur Stelle hätte sein können. Der weibliche Instinkt zum Glücklichmachen bringt Männer, aber auch Frauen in Verwirrung. Ich wusste wirklich nicht, warum er plötzlich schmollte und mich fragte:
Warum bist du so unfair?
»So schlecht sind wir gar nicht!«, murrte Frank. Dabei fand er uns – vor allem die nörgelnden weißen Hausfrauen – doch genauso schlimm wie ich und hatte eine durchaus kritische Einstellung zur »Überlegenheit« der Weißen (wofür er später in seinem Leben zu leiden hatte). Von nun an bis zum Ende unserer Ehe gab es immer wieder Zeiten, in denen er – manchmal tagelang – beleidigt, böse, voller Selbstmitleid oder Vorwürfe war, und das stets wegen irgendwelcher Dinge, von denen wir beide wussten, dass sie nicht der eigentliche Grund waren. Ich dagegen war munter, falsch, »vernünftig« – scheinheilig.
Ich war nicht die einzige Ursache für seine Zornesausbrüche, sie rührten vielleicht noch stärker daher, dass er nicht mit seinen Freunden im Norden in der Wüste war. Nach Feierabend wollte er immer gleich in den Sports Club. Er trank sehr viel. Das war nichts Neues. Wenn ich heute versuche, unseren damaligen Tagesablauf zu rekonstruieren, ist es für mich kaum noch vorstellbar, wie viel Alkohol wir alle tranken – und mit welch unglaublicher Selbstverständlichkeit. In den zwanziger Jahren – das heißt nach dem Ersten Weltkrieg – wurde übermäßiger Alkoholgenuss nicht nur gesellschaftsfähig, sondern schick und modern. So steht es in allen Romanen, Memoiren, Geschichtsbüchern über die Zeit. Man trank nicht nur in den Kolonien zu viel. Südrhodesien hatte eine wahre Trinkerkultur. Heutzutage dreht sich bei uns ständig alles ums Essen, das Essen selber, Informationen über Nahrungsmittel, das Aufgeben von Essgewohnheiten, das Fasten. Damals tranken wir, gaben das Trinken auf, tranken Bier, aber keine hochprozentigen Sachen, Hochprozentiges, aber kein Bier, beschlossen, vor sechs Uhr abends, wenn es Zeit für die
sundowners
war, nichts mehr zu trinken. Es kam vor, dass Trinkkumpanen eine Entziehungskur verordnet wurde, aber alle wussten, dass sie bald wieder mit einem Saft auf der Veranda sitzen würden, weil sie dem Alkohol für immer abgeschworen hatten. Trotzdem war klar, dass sie binnen weniger Monate wieder abhängig sein würden. Mir wurde der Sports Club allmählich unerträglich, aber Frank wollte mich dabeihaben und wollte auch seinen Sohn dabeihaben. Ich war müde. Ich war vollkommen erschöpft. Ich war in meinem Leben nie wieder so
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