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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Wir waren drauf und dran, in die privilegierte Mittelschicht aufzusteigen. Was hatte ich mir eigentlich dabei gedacht, einen zukünftigen Stadtvater zu heiraten? Ich hatte ihn nie als solchen gesehen. Jetzt fühlte ich mich, als hätte mir jemand Handschellen angelegt und Ketten um die Füße geschlungen. Aber ich lächelte und plauderte munter weiter. Tigger war allzeit freundlich und tüchtig und liebevoll.
    Das Haus gehörte alten Freunden von Frank. Alles, was wir mieteten oder anschafften, hatten wir Franks Freunden zu verdanken: Er lebte schließlich schon mehr als fünfzehn Jahre in der Stadt. Wir kauften das Haus möbliert, das Inventar war wesentlich solider als unsere bisherigen Besitztümer. Es war eine Stufe besser als die Toffeemöbel, aber die Zimmer entsprachen ganz und gar nicht meinem Geschmack, sie waren in Blassrosa und Blassgrün gehalten, mit wässerigen Chintzstoffen und farblosen Teppichen ausgestattet. Alles wirkte leicht abgesprungen oder angeknackst oder ausgeblichen. Meine Gefühle angesichts dieser Zimmer haben den Weg in einige der Traumzimmer gefunden, die ich in
Memoiren einer Überlebenden
beschrieben habe. Die Frau, von der Frank das Haus kaufte, hieß Mrs. Tennent. Sie kommt, allerdings stark verfremdet, in
Eine richtige Ehe
vor. Doch selbst wenn ich die Fakten geändert habe, damit sie besser in die Geschichte passen – die Rolle, die sie in meinem Leben spielte, blieb davon unberührt. Sie behandelte Frank wie ihren Sohn und war der Auffassung, dass ich mit der entsprechenden Nachhilfe das Zeug zu einer guten Schwiegertochter haben würde.
    Das Haus selbst war größer als die vorigen, eines der besseren Häuser in den Avenues. Die ersten Häuser in Salisbury waren allesamt Bungalows, Ziegelbauten mit Wellblechdächern und Veranden nach allen Seiten. In unserem neuen Domizil gab es reichlich Platz. Hinter der vorderen Veranda, auf der Stühle und Tische standen, lagen ein Wohnzimmer, mit billigen Kitschmöbeln, und ein Esszimmer, nach hinten schlossen sich ein großes und zwei kleine Schlafzimmer an. Die zweite Veranda war verglast wie ein großes Zimmer, dort standen der Kühlschrank und der Bügeltisch, die Kinderwagen, Kinderkarren und Gartengeräte und Stühle, falls man sich dort mal ausruhen wollte. Daneben lagen die Küche und die Speisekammer sowie das Bad. Drei Dienstboten, Kochboy, Hausboy und
piccanin
, Letzterer ein Junge von zehn, der die Schuhe putzte, Botengänge machte, ein bisschen im Garten arbeitete und dann und wann auf das Baby aufpasste. Wieder zahlten wir ihnen weit mehr als den üblichen Lohn, und wieder erschienen weiße Hausfrauen wütend und vorwurfsvoll bei uns, um uns zu sagen, dass wir die Eingeborenen verwöhnten. Hinter dem Haus am Grundstücksrand zur Schmutzwassergasse hin, durch die nachts die Karren fuhren, um den Inhalt der Toiletteneimer abzuholen, standen wie hinter allen Häusern die gemauerten Quartiere für die Dienstboten. Wir hatten zwei Dienstbotenräume. Jeder wusste, dass in diesen Zimmern meist mehr Leute wohnten, als offiziell erlaubt war. Von Zeit zu Zeit durchforstete die Polizei die Stadt nach Ehefrauen, Freundinnen und sogar Kindern, die sich besuchsweise dort aufhielten. Es gab keine Möglichkeit, der Polizei zu entkommen, weil alle Schwarzen einen
situpa
bei sich haben mussten, einen Pass, auf dem die Personalien und die Arbeitsstelle eingetragen waren. Von allen Gesetzen der Weißen löste dieses die stärksten Hassgefühle aus. Manchmal baten unsere Diener uns um einen Brief, in dem wir bestätigten, dass eine Frau oder Mutter die Erlaubnis hatte, sich bei ihnen aufzuhalten: Wenn ich sage »uns«, dann meine ich die Progressiven, denn unser Haushalt war verglichen mit den meisten revolutionär. Die Leute, die zu uns ins Haus kamen, neigten zu der Ansicht, dass »die Eingeborenen betrogen wurden«. Sie traten für einen Mindestlohn ein, fanden, dass es im Interesse der Weißen liegen müsste, die Lebensbedingungen der Schwarzen zu verbessern, und waren davon überzeugt, dass die Passgesetze ungerecht waren. Über diese Themen wurde bei den Mahlzeiten oder beim
sundowner
offen diskutiert, und zwar mit der Selbstverständlichkeit, mit der überall anerkannte politische Positionen vertreten werden: Sechs Jahre später wurde so etwas bereits als Aufwiegelei bezeichnet.
    Ich betrat die Eingeborenenquartiere nie, weil ich das Gefühl hatte, dass es mich nichts anging, was unsere Dienstboten dort machten. Einmal warf ich einen

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