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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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zu dem vom letzten Mal: Das Leben in der Kleinstadt gewährt eine Form der Kontinuität, von der sich Großstadtbewohner nicht mal annähernd eine Vorstellung machen können. Ich meldete mich dort, wie beim vorherigen Mal, abends, weil ich einen bestimmten Schmerz wiedererkannte, der sich deutlich von dem üblichen Stechen, Reißen, Drücken zum Ende der Schwangerschaft hin unterschied, und weil ich den unverkennbaren Energieschub spürte, den die Natur einem in ihrer wohlüberlegten Art schenkt. Nachdem ich gebadet hatte und – selbstverständlich – rasiert worden war, wanderte ich allein im Zimmer auf und ab. Das Haus war wie üblich überfüllt. »Seien Sie einfach ein liebes Mädchen«, riefen die Krankenschwestern, wenn sie lächelnd kurz im Türrahmen erschienen, um gleich darauf wieder zu verschwinden.
    Ich wollte allein sein. Die ganze Nacht marschierte ich auf und ab, wanderte durch die Klinik, ging zum Kinderzimmer, um mir die Neugeborenen anzusehen, als sie noch alle schliefen, und ergriff die Flucht, als sie ein paar Stunden vor der nächsten Fütterung anfingen zu schreien. Ich starrte aus dem Fenster zum Sternenhimmel hinauf. Ich fragte mich, wie Frank wohl mit John fertig wurde. Dann setzten gegen zehn Uhr morgens stechende Schmerzen ein, der Arzt und die Schwestern kamen, und innerhalb einer halben Stunde war das Baby geboren. Ich wartete immer noch auf die Wehen. Auch von dem Chloroform hatte ich kaum etwas gespürt. Mir wurde ein kleines Mädchen gezeigt, kleiner als sein Bruder, und schon auf den ersten Blick von anderer Beschaffenheit, ein hübsches kleines Ding zum Schmusen und Liebkosen. Aber: »Sie werden bald noch genug von ihr haben.« »Bitte, Schwester, nehmen Sie sie noch nicht weg.« »Na schön, aber nur einen Augenblick.« Die kleinen Lippen schließen sich um die Brustwarze, da ist wieder das Wunder, das Leben weiß genau, was es zu tun hat. Die Schwester steht stirnrunzelnd dabei. »Sie haben noch keine Milch. Die schießt erst morgen ein.« Und triumphierend wird das Baby davongetragen, und ich bleibe allein im Bett, um mir die Augen auszuweinen. Und noch etwas kam diesmal erschwerend hinzu: Wegen der Infektionsgefahr war es den Geschwistern verboten, das neue Baby anzufassen. John wurde draußen von seinem Vater zu meinem Fenster geführt, und ich stand jenseits der Scheibe, hielt das Neugeborene hoch und winkte ihm zu. Ich war unglücklich. Er war unglücklich. Ich kann mir nichts vorstellen, was besser dazu geeignet wäre, ein Geschwisterkind auf das neue Baby eifersüchtig zu machen oder in einer Mutter Angst zu schüren. Das war das Schlimmste an dieser zweiten Geburt.
    Abends kam Frank mit den anderen Vätern zu Besuch. Die Leiterin erschien am Ende der Besuchszeit auf die Minute genau in der Tür. »Es ist Zeit, Daddys«, rief sie kokett, aber unbeugsam, »es reicht. Ich läute jetzt. Nun müssen Sie Ihren armen Frauen Ruhe gönnen.«
    Und die Glocke schrillte durch das Gebäude, während die Babys schrien.
    Es wäre mit Recht zu fragen: Wenn es dort wirklich so schrecklich war, warum sind Sie dann ein zweites Mal hingegangen? Das ist in der Tat eine gute Frage. Nun, mir ist erst später klar geworden, wie schrecklich es war. Denn »alle« brachten dort ihre Kinder zur Welt. Es gab eigentlich keine Alternative. An Hausgeburten erinnere ich mich nicht. Bei weißen Frauen, meine ich natürlich. Außerdem glaube ich, dass mein Verhalten weitgehend von weiblicher Passivität bestimmt war. Männer lassen meiner Ansicht nach weit weniger mit sich machen, wenn es um Ärzte geht.
    Ich saß in einem ziemlich düsteren kleinen Zimmer und stillte Jean, während John an mir zerrte, weil ich sie beiseitelegen und mich ihm widmen sollte. Ich weiß noch, dass ich dachte: Dann liebt er mich also doch ein bisschen – und er jaulte und warf sich auf den Fußboden, und ich legte das Baby hin und versuchte, ihn zu trösten. So ging es immer weiter – ohne Ende. Ich war völlig erschöpft. Rückblickend frage ich mich, wie ich es durchgestanden habe. Ich schwöre, junge Mütter sind mit einem besonderen Saft oder Hormon ausgestattet, der sie widerstandsfähiger macht.
    Wir zogen erneut um. Diesmal lag es daran, dass Hausbesitzer von den Angehörigen der Armee und der Royal Air Force – die zu jener Zeit in die Stadt strömten – die doppelte Miete kassieren konnten. Frank hatte es satt, Geld für Mietwohnungen hinauszuwerfen, er wollte es lieber in eine Hypothek stecken. Kurz gesagt:

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