Unter der Haut (German Edition)
hasste, war »das System«. Doch was ich davon hielt, hätte ich für mich behalten. Die schreckliche Kleinkariertheit und Enge des Lebens? Ich hätte aus der Not eine Tugend gemacht. Ich wäre der einsichtige, tolerante, ruhende Pol der Familie gewesen und … All das hätte mir Selbstbeherrschung in einem solch unwahrscheinlichen Ausmaß abverlangt, wie ich sie vielleicht ein paar Jahrzehnte später hätte aufbringen können, wenn mich die Umstände dazu gezwungen hätten. Wie gesagt, vielleicht.
Tatsache ist, dass ich nicht überlebt hätte. Ein Nervenzusammenbruch wäre das Mindeste gewesen. In den vier Jahren, die ich mit Frank verheiratet war, habe ich mehr getrunken als je zuvor oder danach. Ich wäre Alkoholikerin geworden, da bin ich mir ziemlich sicher. Mir wäre nichts anderes übrig geblieben, als jahrelang im Kampf mit mir selbst zu leben, mich hin- und hergerissen zu fühlen und mein Leben zu hassen.
Als ich 1956 nach sieben Jahren – wieder einmal eine kleine Ewigkeit, denn ich hatte erst einmal Fuß fassen müssen in London, was nicht leicht gewesen war – nach Südrhodesien zurückkehrte, stellte ich fest, dass sich alle Leute aus den kommunistischen, sozialistischen oder »fortschrittlichen« Gruppen, die es noch gab, verändert hatten, manche mittlerweile sogar von gegenteiligen Ideen überzeugt waren. Unter dem Druck ihrer Umgebung hatten sie sich vollkommen gewandelt. Es ist nicht einfach – nein, es ist unmöglich –, normal und bei klarem Verstand zu bleiben, wenn man unter Menschen lebt, die anders denken. Menschen, deren Haltung in der Rassenfrage ein paar Jahrzehnte später allgemein üblich sein sollte, lebten damals über ganz Südrhodesien verstreut und galten als Außenseiter, als Exzentriker, als Verräter und als Kaffernfreunde. Menschen, die allzu lange an unpopulären Meinungen festhalten, werden schrill, fanatisch und paranoid. Wenn es genug von ihnen gibt, um eine Gruppe entstehen zu lassen, dann zeigt diese Gruppe nach einiger Zeit dieselben Eigenschaften. Die alten Freunde, die ich 1956 wiedertraf, tranken ausgiebig, waren verbittert, zeigten sich überzeugt, dass die Geheimpolizei jeden ihrer Schritte verfolgte, oder waren sogar noch reaktionärer und rassistischer als die breite Masse der Weißen. Mir war klar, dass ich an ihnen ablesen konnte, was aus mir selbst geworden wäre, wenn ich an meiner Ehe festgehalten hätte. Weit entfernt davon, jener verständige, immer starke und mitfühlende Pol der Familie zu sein, das Vorbild für die Kinder und die Freundin für meinen Mann, wäre ich schlicht und einfach eine Belastung geworden.
Und jetzt zum Sex. Ohne diesen Aspekt kann man über das Auseinanderbrechen einer Ehe nicht schreiben, jedenfalls nicht heutzutage.
Als ich damals sagte, ich würde Frank verlassen, weil ich ein anderes Leben führen wolle, glaubte mir niemand.
»Wenn in der Provinz eine junge Frau einer Organisation beitritt, dann ist sie auf der Suche nach einem Mann.«
»In der Provinz verlässt eine junge Frau ihren Mann nur, weil sie einen anderen gefunden hat.«
Es stimmte auch, dass ich einen Liebhaber hatte. Oder besser gesagt, eine Affäre. Ich war nicht in ihn verliebt und er nicht in mich, aber es lag damals einfach in der Luft. Ich kann mir kaum zwei Leute vorstellen, die weniger zueinander gepasst hätten, aber darauf kam es auch gar nicht an. Meine Mutter und alle älteren Leute machten mir Vorwürfe, weil ich meinen Mann »wegen eines Sergeant von der Royal Air Force« verließ. Dieser Gedanke beleidigte mich zutiefst und entfremdete mich völlig von denen, die ihn äußerten. Tagelang kamen meine Mutter, Mrs. Tennent (Franks Mutter) und Mary – aber nicht Dora – angelaufen und sprachen mich auf diesen Sergeant an. Ich antwortete jeweils mit einem leidenschaftlichen (und ernst gemeinten) Wortschwall über die Revolution und eine neue Welt, die im Entstehen begriffen sei. Eine Szene für eine Komödie. Mein Leben baute sich ein paar Jahre lang auf den Zutaten für eine Farce auf, aber es dauerte Jahre, bis ich es so sehen konnte.
Alle Welt dachte, mein Liebesleben mit Frank wäre ein Fehlschlag gewesen, obwohl ich dergleichen nie behauptet hatte. Sämtliche alten Frauen – wie sie bei mir immer noch hießen – nahmen mich beiseite und versicherten mir mit gesenkter Stimme, dass Sex nicht so wichtig sei. Ich war empört. Wie verlogen sie waren. Vor allem aber fühlte ich, wie ich immer tiefer in einer Welt der Unwirklichkeit
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