Unter der Haut (German Edition)
Dose.
Old Adam, the carrion crow
The old crow of Cairo
He sat in the shower and let it flow
Under his tail and over his crest
And through every feather
leaked the wet weather
And the bough swung under his nest …
Und John rollt sich auf der Decke herum und jauchzt:
»Old Adam, the carrion crow …«
Als Rousseau seine Kinder weggab, dachte er – wie er behauptete –, er würde sie vor einer verderblichen und entkräftenden Erziehung durch korrupte Menschen bewahren: Im Findelhaus würden sie sich zu widerstandskräftigen, aufrichtigen und nützlichen Bürgern entwickeln. Vielleicht ist es unmöglich, seine Kinder ohne moralische und geistige Verrenkungen wegzugeben. Aber ich überantwortete die meinen ja auch nicht direkt einem frühen Tod. Unser Haus war voll von besorgten und liebenden Menschen, die sich beispielhaft um die Kleinen kümmern würden. Sogar viel besser als ich, und das nicht etwa, weil ich mich dieser Aufgabe nicht genauso intensiv widmete wie jede andere Mutter in meiner Umgebung, sondern weil ich insgeheim dieses Gefühl von Untergang, das meinen Eltern ihr trauriges Schicksal beschert hatte, in mir trug.
Ich hatte keine Schuldgefühle. Viel später – zehn Jahre später vielleicht – klärte mich ein Psychotherapeut mit dem typischen Gehabe, mit dem diese Leute Aufschlussreiches aus dem Hut zaubern, darüber auf, dass ich einen Haufen Schuldgefühle mit mir herumschleppte.
Nein! Was Sie nicht sagen!
Zu der Zeit betrachtete ich mich längst selbst als eine Art Expertin für Schuldgefühle, und zwar für offensichtliche genauso wie für versteckte. Ich weiß alles über die verheerenden Auswirkungen von Schuldgefühlen, darüber, wie sie einem zusetzen, wie sie einen aushöhlen und schwächen. Und ich kämpfe entschieden dagegen an. Schuldgefühle sind wie der sprichwörtliche Eisberg, nur liegen in ihrem Fall neunundneunzig Hundertstel unter Wasser. Jahrzehnte später hielt ich einmal einen Vortrag über Wahrnehmungsbarrieren, das heißt darüber, was uns daran hindert, den Dingen offen ins Auge zu sehen, und führte dabei zehn verschiedene Geisteshaltungen an, unter anderem ging es um Schuldgefühle. Bei der anschließenden Diskussion erhoben sich etliche der mehreren Hundert Zuhörer und wollten etwas zu Schuldgefühlen, Schuldgefühlen, Schuldgefühlen wissen, zu nichts anderem, nur zu Schuldgefühlen. Ich wies darauf hin, dass ich auch über andere Dinge gesprochen hätte, aber nein, es ging ausschließlich um Schuldgefühle. Noch heute treffe ich Leute, die sagen: »Ihr Vortrag über Schuldgefühle …«
In einer dermaßen von Schuldgefühlen besessenen Kultur fällt es schwer, die ganz persönliche Last von der zu unterscheiden, die wir wohl alle tragen.
Es dauerte lange, bis ich begriff, dass es eigentlich Schuldgefühle waren, die mich dazu trieben, ein attraktives Bild von mir selbst zu malen, wie ich vielleicht geworden wäre, wenn ich mich nicht von meiner Ehe verabschiedet hätte. Dieses Bild veränderte sich in dem Maß, wie sich meine Selbsteinschätzung, aber auch wie sich Südrhodesien veränderte. In den Grundzügen sah das Bild allerdings so aus: Anstatt mich mit ganzem Herzen und ganzer Seele – na ja, nicht ganz, denn ich behielt ungefähr neun Zehntel meines Herzens und meiner Seele noch zurück – auf den Kommunismus zu stürzen, hätte ich ihn nur ausprobiert, bis ich eine kritische Einstellung dazu entwickelt hätte – vielleicht nach einem Monat –, und hätte meine Familie dazu entweder gar nicht oder nur für kurze Zeit verlassen. Ich wäre schon mit Frank »ausgekommen«, so wie ich immer mit ihm ausgekommen war, einfach weil junge Frauen sich so gut anpassen können und es anderen recht machen. Wir hätten immer weniger gemeinsam gehabt, und trotzdem wäre ich ihm voller Verständnis begegnet und den Kindern, deren Charakter und Anlagen sich voll entfaltet hätten, eine gute Mutter gewesen. Zugegeben, Frank und ich passten nicht zusammen, aber das war bei vielen anderen Paaren ähnlich. Er war von Natur aus konservativ und ich von Natur aus kritisch. Na und? Mir gefiel seine Einstellung zum Geld nicht, doch selbst in Augenblicken der größten Wut hätte ich noch eingesehen, dass jemand, der schon seit seinem fünfzehnten Lebensjahr für sich selbst sorgen musste – und zwar bei sehr schlechter Bezahlung –, kaum eine andere Einstellung haben konnte. Und schließlich gab es Ehen, in denen Tag für Tag um Geld gestritten wurde. Was ich
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