Unter der Haut (German Edition)
sie versuchten, die Wienerin unter die Haube zu bringen. Ich war immer noch eine Romantikerin und deshalb schockiert über die kalte Berechnung, mit der sie vorgingen, aber wieder – und nicht zum letzten Mal – ließ Gottfried kein gutes Haar an mir: »Du musst lernen, den Mund zu halten, wenn es um Dinge geht, von denen du keine Ahnung hast. Ihr Mädchen aus den Kolonien rennt herum wie dumme Hühner und habt keinen blassen Schimmer vom Leben. Mizi [nicht ihr richtiger Name] ist nicht mehr die Jüngste. Sie braucht einen Ehemann. Sie muss nur einen Offizier aus dem Camp der Royal Air Force heiraten, und schon ist sie versorgt.« Und genau das geschah. Sie heiratete einen Oberstleutnant der Luftwaffe, der zurückhaltend und freundlich war wie ein junger Labrador und der sie vergötterte. Sie kehrte mit ihm nach England zurück. Und dann?
Die Flüchtlinge kamen mit dem Leben in Südrhodesien sehr gut zurecht. Sie waren, wie man heute sagt, erfolgreiche Immigranten. Vor ein paar Jahren erhielt ich einen Brief mit einer Unterschrift, die ich nicht auf Anhieb zuordnen konnte. »Erinnerst du dich noch an …?« Sagen wir einmal: Nina. Sie war eines von den gescheiten intellektuellen Flüchtlingsmädchen, die zu den Treffen des Left Club kamen: Sie könne nicht Kommunistin werden, sagte sie, da sie demokratische Sozialistin sei – eine Bezeichnung, die damals zahllose heikle Punkte der Politikgeschichte berührte. Die Frau, die mich dann besuchte, war eine wohlgenährte ältere Dame, teuer, aber viel zu aufdringlich gekleidet und mit Goldschmuck behängt. Als ich sie fragte, ob sie jemals an die Treffen des guten alten Left Club denke, versuchte sie, sich zu erinnern. Sie habe eine Menge Geld verdient, erzählte sie, Südrhodesien sei gut für sie gewesen, aber sie habe auf keinen Fall vor, unter einer schwarzen Regierung zu leben. Sie war auf dem Weg nach Australien.
Nicht lange nachdem ich Frank und die Kinder verlassen hatte, wurde ich krank. Ich pflichtete allen sofort bei, die behaupteten, dass der wenige Schlaf und meine aus Kartoffelchips und Erdnüssen bestehende Ernährung schuld daran seien, obwohl ich bereits wusste, warum ich krank war: Ich musste mich erst einmal gesund schlafen und gesund träumen, um mein aufgelöstes Ich wieder zusammensetzen zu können. Ich war innerlich zerrissen. Während ich Tag und Nacht in der Stadt herumlief, war ich vielleicht der Inbegriff von Zuversicht und Tüchtigkeit, aber sobald ich in meinen viel zu kurzen Schlaf fiel, brachen Treppen unter mir zusammen, die ich gerade hinaufgestiegen war, saß ich in Klausuren, auf die ich nicht vorbereitet war, oder mein Auftritt auf der Bühne stand kurz bevor, der Vorhang sollte gleich hochgehen, und ich hatte meine Rolle nicht gelernt. Bei den ach so genussvollen Träumen, in denen ich flog, wurde mir angst und bange, denn sobald ich mich in die Lüfte erhoben hatte, drückte mich die Erkenntnis, dass ich flog, sofort wieder zu Boden. Es kam mir vor, als stünde ich im selben Moment, in dem ich die Augen schloss, am Rand von Schluchten und Abgründen, aus denen mir die uralte, unversöhnliche Echse, fast schon versteinert, fast schon tot, mit ihrem staubüberzogenen kalten Auge entgegenstarrte. Die Farm war verkauft, meine Eltern zogen in die Stadt um, und das Haus, in dem ich aufgewachsen war, zerfiel in meinen Träumen in tausend Stücke, weiße Termiten und Bohrerkäfer fraßen sich hinein, Stroh rutschte von den alten Dachbalken und lag in schmutzigen Haufen auf einer Erde, die von einem eben erst erloschenen Buschfeuer ganz schwarz war. Träume sind schon immer meine Freunde gewesen, denn sie stecken voller Hinweise, voller Warnungen. Die Träume jener Zeit führten mir auf vielfältige Weise vor Augen, dass ich gefährlich unglücklich war wegen der Kinder, die ich verlassen hatte, wegen meines Vaters – aber das war ja nichts Neues? –, wegen meiner Mutter – und auch, weil ich mich so sehr danach sehnte, Zeit zum Schreiben zu haben, aber nicht so recht wusste, woher ich sie nehmen sollte.
Mir gefiel das Alleinsein, auch wenn ich es mir gegen meine arme, einsame Vermieterin ebenso wie gegen meine Mutter erkämpfen musste. Die Genossen kamen mich jeden Tag nach der Arbeit besuchen und die Männer von der Royal Air Force immer, wenn sie aus dem Camp hinausdurften. Meine Vermieterin fand es nett, dass ich so viel Besuch hatte, fragte sich aber, was wohl meine Mutter von den vielen Männern in meinem Zimmer
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