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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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begreifen: Die Bedingungen für eine Bekehrung waren geradezu klassisch. Dieser junge Mann aus reichem Hause fand sich ohne einen Penny in einer fremden Stadt wieder. Sein Glaube an sich und das Bild, das er von sich und seiner Familie hatte, waren unter Hitlers großen schwarzen Stiefeln zertreten worden. Er litt seit Monaten Hunger und wusste nicht, wie seine Zukunft aussehen, wusste nur, dass sie schlecht sein würde. Die beiden verliebten sich. Und es wurde eine leidenschaftliche Liebe. Es steht fest, dass Gottfried zu der Zeit, als ich ihn kannte, noch nicht wieder etwas vergleichbar Intensives erlebt hatte. Maggie war schön, hatte schwarzes Haar, das zu einem kleinen Knoten aufgesteckt war, und dunkle Augen. Und sie strotzte geradezu vor hemmungsloser walisischer Lebenskraft. Sie hatte so
gar
nichts Englisches, sinnierte Gottfried immer wieder.
    Der Krieg hatte noch nicht begonnen. Die Deutschen, die mit dieser ersten Flüchtlingswelle gekommen waren, wurden vor die Wahl gestellt, entweder nach Südrhodesien oder nach Kanada auszureisen. Gottfried entschied sich für Südrhodesien und fand sich in einer unwirtlichen und reizlosen kleinen Kolonialstadt wieder, in der seine Schönheit, seine dunklen, sanften Züge, seine Eleganz und seine Kultiviertheit derartig aus dem Rahmen fielen, dass er schon bald zur Zielscheibe des Spotts wurde. Er sah aus wie Conrad Veidt, was für den Film durchaus schön, im wirklichen Leben jedoch einfach zu viel des Guten war. Er freundete sich mit einem Flüchtling aus Wien an, einer hübschen Frau, die Rüschenblusen, Schals und Schmuck trug. Sie hatte der Zeit entsprechend eine »Wasserwelle« mit kleinen, weichen Löckchen am Hinterkopf. Sie war genauso weltgewandt wie er, genauso ein Stadtmensch wie er. Wenn sie in der Halle des Grand Hotel (das einen Hauch mehr Klasse hatte als das Meikles) saßen, waren sie ein elegantes, vor allen Dingen aber ein sehr exotisches Paar. Die Gruppe nannte sie später »Die lustige Witwe« oder »Gottfrieds Komtesse«. Sie hatte überhaupt kein Geld, war sie doch genau wie alle anderen nur mit dem eingetroffen, was sie am Leib hatte. Mit geliehenem Geld eröffnete sie die erste chemische Reinigung in Salisbury. Dann mietete sie sich ein kleines Haus und vermietete ein, zwei Zimmer.
    Als der Krieg ausbrach, kam Gottfried für sechs Wochen in ein Internierungslager. In Großbritannien wurden alle Deutschen interniert, Nazis und Nazigegner gleichermaßen, oft genug gemeinsam in demselben Raum. Man hat mir erzählt, dass die Isle of Man, auf die man die Flüchtlinge schaffte, es mit jeder Universität aufnehmen konnte, aber Rhodesien war damit wohl kaum vergleichbar. Gottfried hatte sich vorsichtshalber mit dem Mann angefreundet, der im CID -Büro für seinen Fall zuständig war. Er blendete ihn mit Plaudereien über das verschwenderische Leben, das er in Berlin geführt hatte, und über seine Mutter, die Gräfin Schwanebach. Gräfin war sie zwar keine, aber das machte nichts, die Lüge half trotzdem. Ich kann mir keinen anderen Grund dafür vorstellen, warum er aus dem Lager wieder entlassen wurde, kaum dass man ihn inhaftiert hatte. Es gab Deutsche, ebenfalls Nazigegner, die während der gesamten Kriegszeit im Lager festgehalten wurden. Wenn man ihn fragte, wie es im Lager sei, verkündete Gottfried lächelnd und unverfänglich: »Gar nicht so schlecht. Man darf eben nicht erwarten, dass es in einem Internierungslager zugeht wie in einem Ferienlager.« Als er entlassen wurde, verbürgte sich ein Anwalt namens Howe-Ely für ihn. Er wollte für seine kurz vor dem Ruin stehende Kanzlei einen billigen Anwalt einkaufen. Und Howe-Ely machte dabei mit Sicherheit ein gutes Geschäft. Er bezahlte Gottfried nie mehr als ein geringes Grundhonorar. Als Gottfried in die Kanzlei aufgenommen wurde, bestand sie aus einem törichten alten Mann, seiner unterbelichteten Frau und einer Schreibkraft – mir. Als er sie 1949 verließ, befand sich die Kanzlei in weitläufigen, eleganten Büroräumen, hatte mehrere Partner und war sehr erfolgreich. Es gab ein ganzes Zimmer voller Sekretärinnen und Schreibkräfte. Das alles hatte Gottfried bewirkt.
    Wenn Gottfried nicht bei Howe-Ely arbeitete, half er seiner Wienerin, schmutzige Kleider von Flecken zu »befreien«, bevor sie in die Maschinen wanderten – eine Technik, die sicher längst überholt ist. Er war nicht in sie verliebt, denn er liebte Margaret Morgan, aber die beiden hatten ein Verhältnis miteinander. Und

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