Unter der Haut (German Edition)
erste Band heißt
In the Thirties.
Das war die Zeit, in der entweder »jeder« Kommunist war, dem Kommunismus nahestand oder ihn leidenschaftlich ablehnte. Der zweite Band heißt
The Rotten Elements.
Der Autor schreibt in seiner Vorbemerkung, dass das Buch darauf abziele, »ein historisch genaues Bild der Politik und der Standpunkte innerhalb der Kommunistischen Partei Großbritanniens während der späten vierziger Jahre zu zeichnen«. Man legt das Buch mit dem Gefühl beiseite, etwas über das Schicksal von Nationen gelesen zu haben, doch eigentlich ist es eine Geschichte über eine kleine Gruppe von isolierten Menschen in einer Provinzstadt, die jedem Wort, jeder Entscheidung und jeder Unternehmung die Wichtigkeit beigemessen haben, die sie in Moskau gehabt hätte. Und es stimmt: Wir lesen über dieselben psychischen Prozesse, dieselbe Gruppendynamik, die die Kommunistische Partei der Sowjetunion geschaffen und wieder zerstört haben. Helden und Verräter, Spaltungen und Ketzereien, Märtyrer, Verschwörungen und Intrigen – es gleicht sich alles aufs Haar. Der dritte Band, der erst 1977 veröffentlicht wurde, heißt
No Home But the Struggle.
Schon allein die Titel sind wie ein kleiner, komprimierter Bericht über das sozialistische Denken jener Zeit.
Kapitel Vierzehn
Gottfried Lessing habe ich 1943 geheiratet, aber nur, weil man zu jener Zeit keine Affären haben, geschweige denn mit jemandem zusammenleben konnte, ohne unfreundliche Bemerkungen über sich ergehen lassen zu müssen. In seinem Fall wäre es noch schlimmer gewesen. Er war ein feindlicher Ausländer und lief Gefahr, wieder ins Internierungslager gesteckt zu werden. Es war schon schlimm genug, dass er Kommunist war, wo man doch eigentlich von ihm erwartete, dass er sich nicht politisch betätigte. Aber in aller Öffentlichkeit ein Techtelmechtel mit einer jungen Frau zu haben, die insofern gut angesehen war, als sie südrhodesische Bürgerin war und deshalb für ihn als Deutschen und feindlichen Ausländer im Grunde nicht infrage kam, die aber auch einen schlechten Ruf hatte, weil sie erst vor sehr kurzer Zeit auf Betreiben ihres Mannes geschieden worden war – das war einfach dumm. Es war meine Pflicht als Revolutionärin, ihn zu heiraten. Ich würde zu gerne glauben, dass wir das nur im Scherz sagten, aber das stimmt wahrscheinlich nicht. Wir zwei hatten eine Affäre, weil wir die einzigen nicht liierten Leute in der Gruppe waren. Aber Bedeutung hatte diese Affäre keine. Waren wir nicht Tote auf Urlaub? Waren »persönliche Angelegenheiten« nicht irrelevant für den Kampf? Es war uns klar, dass wir nicht sonderlich gut zueinander passten. Aber wir dachten, dass es keine Rolle spielte und wir uns einfach scheiden lassen würden, sobald der Krieg vorbei wäre.
Von Anfang an sprach er mir jede Eignung als kommunistischer Kader ab. Das Problem war ein grundsätzliches – es lag in mir, in mir selbst, in meinem Wesen. Das, was ich an mir selbst am meisten leiden konnte, woran ich mich festhielt, mochte er am allerwenigsten. Jeder Anflug von Verständnis für einen anderen Menschen war »Psychologisiererei«, war – freudianisch. Moskau hatte Freud auf immer und ewig als reaktionär verdammt. Wenn ich mitten aus einem Traum, der mir eine wichtige Erkenntnis gebracht hatte, erwachte und ihm davon erzählte, dann ging ihm das auf die Nerven. Er träumte nie und musste sich schon sehr überwinden, um zu glauben, dass andere das taten. Träume und das Träumen selbst waren reaktionär. Mein Interesse an Volkssagen, Legenden, Mythen, Märchen – er machte sich darüber lustig und meinte, dass ich deswegen erschossen werden könne, wenn ich in der Sowjetunion lebte. (Es gab in »der Partei« Leute, die schlicht und ergreifend bestritten, dass in der Sowjetunion irgendwelche Erschießungen oder Folterungen stattfanden; andere wiederum verstanden nicht, warum sich jemand die Mühe machen sollte, es zu bestreiten. Von verderbten Elementen musste man sich schließlich befreien.) Volkssagen, Volkstum – in dem Zusammenhang zitierte er gern Lenins Spruch von der »Dumpfheit des Dorflebens«. Wenn wir bei Gruppentreffen zum Punkt »Kritik« der Tagesordnung kamen, nahm er mich wegen dieser und jener kleinbürgerlicher, rückschrittlicher Tendenzen kalt und penibel auseinander.
Gottfried Anton Nicolai Lessing war 1917 in St. Petersburg zur Welt gekommen und zusammen mit seiner Familie vor der Revolution im Zug nach Berlin geflohen, ein Säugling in
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