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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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hielte.
    Zu diesem Zeitpunkt gab es kein einziges Mädchen aus der Gruppe oder aus deren Umfeld, das nicht schon mindestens einmal einen Heiratsantrag von einem der Männer von der Royal Air Force erhalten hatte. Meine hohe Gesinnung machte mich immer noch blind für das Offensichtliche. Weder mir noch den anderen Frauen kam je der Gedanke, dass mittellose junge Männer, denen noch die bittere Armut aus dem Vorkriegsengland in den Knochen steckte, vielleicht Gefallen an dem Gedanken finden könnten, privilegierte Mädchen aus den Kolonien zu heiraten. Als Gottfried mich darauf hinwies, war ich über seinen Zynismus schockiert. Denn dieser Zynismus überschritt wirklich die Grenze des Erträglichen. Wir anderen waren alle geradezu trunken vor Idealismus und kameradschaftlichen Gefühlen, wir waren die meiste Zeit verliebt, und wir lebten in einem Wolkenkuckucksheim, in dem uns alle Möglichkeiten offenzustehen schienen. Zynismus oder »Realismus« wird nur selten geschätzt, wenn es darum geht, die Wirklichkeit zu erkennen.
    Gottfried kam mich besuchen. Später sagte er, dass er sich damals zum ersten Mal zu mir hingezogen gefühlt oder, wie er es formulierte, in mir eine Bettgefährtin gesehen habe. Männer, denen es schwerfällt, sich aus einem Panzer der Schüchternheit zu befreien, genießen es, zu bettlägerigen, kranken Mädchen nett zu sein. Er trat ganz onkelhaft auf und brachte mir Eiscreme von dem kleinen Wägelchen in der Straße oder eine Schachtel cremegefüllte Küchlein von Pockets, dem eleganten Teerestaurant. »So, und jetzt musst du essen«, sagte er immer, reichte mir einen Teelöffel, den er sich von der Vermieterin besorgt hatte, und sah zu, wie ich die Eiscreme in mich hineinlöffelte. Man kann nicht behaupten, dass das Leben in der Gruppe viel Zeit übrig gelassen hätte, um jemandem den Hof zu machen oder, wie man es damals ausdrückte, »miteinander auszugehen«, und der Umstand, dass ich krank im Bett lag, führte uns direkt zum Standesamt und zu einer raschen Heirat – eine Szene, die in
Sturmzeichen
mehr oder weniger genau beschrieben ist. Erst mit
Landumschlossen
habe ich das Autobiografische hinter mir gelassen. Zwischen
Sturmzeichen
und
Landumschlossen
lagen ja auch einige Jahre. In dieser Zeit schrieb ich
Das goldene Notizbuch
, andere Bücher, Kurzgeschichten. Es gelang mir damals nicht, in meinem Innern den richtigen Ton für diese Lebensphase zu finden, für diese so schlimme, langsam dahinschleichende, von Frustration und Erstarrung bestimmte Zeit. Schließlich lieferte mir das Leben das psychologische Rezept für
Landumschlossen
, ein melancholisches Buch, das von der Ernüchterung nach dem Krieg durchdrungen ist. Selbst in
Sturmzeichen
habe ich meine unmittelbaren Erfahrungen abgeändert, denn Gottfried taucht darin nicht auf. Er war schließlich am Leben, und ich zog seinen Sohn auf. Für das Buch borgte ich mir den Ehemann einer Londoner Freundin aus, der eine andere Geschichte und ein anderes Auftreten hatte, sich aber demselben Typus zuordnen ließ. Er war ein Junge aus einem Berliner Armenviertel, das Produkt der Arbeitslosigkeit und der politischen Auseinandersetzungen der zwanziger und dreißiger Jahre, erfüllt von bitterem Klassenhass – kurz gesagt, ein Kind des Ersten Weltkriegs. In seiner Jugend war er Kommunist und gehörte zu den Deutschen, die Hitler bekämpften. Eine Flüchtlingsorganisation brachte ihn nach England. Dieser arme Junge und Gottfried, der reiche Junge, glichen sich darin, dass sie Fanatiker waren, also das, was die Kommunistische Partei gemeinhin »die Hundertfünfzigprozentigen« nannte – keineswegs mit Bewunderung. »Es bleibt nicht aus, dass sie zusammenbrechen oder sich von einem Tag zum anderen in hundertfünfzigprozentige Antikommunisten verwandeln.« Die Vorlage zu Anton Hesse brach weder zusammen, noch verwandelte sie sich in einen Antikommunisten; die Rolle des ernsten, aufrechten und niemals lächelnden Aktivisten hat er, wie es schien, über Nacht einfach abgelegt. Gerade noch hatte man einen Mann kennengelernt, der beim leisesten Hauch von »Inkorrektheit« einen Vortrag hielt, um einen zurechtzuweisen, und schon im Jahr darauf war er umgänglich, charmant und gesellig und sagte: »Ich interessiere mich nicht für Politik.« In der Zwischenzeit war der reiche Junge Mitglied der herrschenden Klasse in Ostdeutschland geworden. Als ich das Original von Anton Hesse Anfang der fünfziger Jahre kennenlernte, kam ich mir vor wie in einem

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