Unter der Haut (German Edition)
Neue, und bei seiner Rückkehr bekam Dorothy jedes Mal einen genauen Bericht.
Wir diskutierten sein Verhalten in der Gruppe und teilten Nathan vor versammelter Mannschaft mit, dass sein Verhalten unsozialistisch, weil lieblos sei. »So etwas tut man nicht«, fasste Gottfried in seiner schleppenden Art zusammen, und er sprach nicht aus sozialistischer, sondern aus einer vollkommen anderen Tradition.
»Dann tut es mir leid«, entgegnete Nathan, »aber als Mensch habe ich auch meine Rechte in dieser Sache. Ich glaube an die Ehrlichkeit, egal, worum es geht, aber insbesondere an die Ehrlichkeit zwischen Mann und Frau.«
Dorothy setzte sich mit Methoden durch, die wir alle verstanden und Nathan zu erklären versuchten, der manchmal das Offensichtliche sah und manchmal nicht. »Danke, jetzt verstehe ich, warum diese Frau Regelblutungen hat, die manchmal dreieinhalb Wochen dauern.« Dorothy erlaubte kein Essen im Haus, das im Entferntesten fremdländisch war, vor allen Dingen keinen Knoblauch und keine Kräuter. Nathan kaufte Heringe, zeigte mir, wie sie zubereitet wurden, und kam bei uns vorbei, um sie auf Roggenbrot zu essen. Dann ging er, aus allen Poren Knoblauch verströmend, nach Hause und sagte: »Nein danke, Dorothy, ich habe schon gegessen. Du und Harty, ihr könnt den kalten Rinderbraten alleine haben.«
Er war außerordentlich großzügig. Er gab jedem Geld, der ihn darum bat. Er schickte die Kinder seiner Dienstboten in die Schule. Als Nordrhodesien zu Sambia wurde, fuhr er hin und gründete mit Indern und Afrikanern eine Kooperative, an deren Kapital er sie zu gleichen Teilen beteiligte, obwohl er das Geld und die Erfahrung einbrachte. Zu seiner Überraschung und sehr zu seinem Kummer wurde er von allen betrogen. Das Unternehmen machte Bankrott. Als ich nach England kam und schrecklich unter Geldmangel litt, bat ich den reichsten Mann in meinem Bekanntenkreis, ob er mir hundert Pfund leihen könne, und bekam eine höflich formulierte, bedauernde schriftliche Absage. Er wolle unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen, denn er lege großen Wert auf sie, aber er verleihe prinzipiell kein Geld. Nathan, der zur damaligen Zeit selbst knapp bei Kasse war, schickte mir postwendend hundert Pfund. An die Zelters schrieb ich in meinen ersten ein, zwei Jahren in London atemlose, schwatzhafte Schulmädchenbriefe, den Briefen Sylvia Plaths an ihre Mutter nicht unähnlich, Briefe, hinter denen man sich verstecken kann, indem man von lauter Fortschritten berichtet.
Nathan war in mich verliebt: »Ich stelle fest, dass ich mich von dir körperlich angezogen fühle. Du musst nicht denken, dass ich in dich verliebt bin. Das ist etwas ganz anderes.« »Nein, ich verspreche dir, das nicht zu denken.« »Aber eines muss ich klarstellen: Wenn wir uns je zur selben Zeit in derselben Stadt aufhalten sollten, ohne dass Gottfried oder Dorothy dabei sind, dann kann ich für die Folgen nicht garantieren.« »Aber Nathan, zum Glück bin ich sicher, dass ich das könnte.« »Was sagst du da? Du sagst – aber natürlich, jetzt verstehe ich! Du liebst Gottfried so sehr, dass du ihm nicht untreu sein könntest. Ja, das sieht doch jeder auf den ersten Blick.«
Dabei war ich Gottfried untreu. Ich erlebte gerade die klassische Liebesaffäre, die jede Frau nur einmal erleben sollte. Er war Leiter des Rundfunksenders und machte ein Programm, dessen Niveau höher war als das, was die meisten Bürger verdienten. Er kam nachmittags zu mir nach Hause, wobei er den Weg unter dem großen Baum immer herauflief, ohne nach rechts oder links zu blicken, weil er genau wusste, dass sich überall in der Straße die Vorhänge bewegten. Wir unterhielten uns über Literatur, lachten viel und liebten uns, während wir mit einem Ohr darauf lauschten, ob jemand kam – schließlich platzten ständig Leute herein. Einmal war es meine Mutter. Einmal war es Nathan. Mein Geliebter versteckte sich im Kleiderschrank, während ich irgendwelche Lügen erfand. Diese Affäre hätte für keinen von uns beiden schöner sein können, der Fehler war nur, dass ich mich – ich traue mich kaum, es zu gestehen – verliebte. Ich war entsetzt. Alle Pläne, die Kolonie so bald wie möglich zu verlassen und in London ein neues Leben anzufangen, verblassten vor dem dringenden Wunsch, diesen Mann zu heiraten, der seine Frau und Kinder verlassen würde. Glaubte ich das? Nein, aber ich sah zu, wie dieses Muster in einem Teil meines Kopfes ablief, während ein anderes spöttisch
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