Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
Vom Netzwerk:
dass seine Arbeitgeber Schwarze zu Gast hatten, und das hätte bedeutet, dass Charles noch mehr Scherereien mit der Polizei gehabt hätte als ohnehin schon. Sie kamen nie alle gleichzeitig, sondern allein oder zu zweit und verteilt über eine Stunde. Sie hatten meist etwas dabei, zum Beispiel ein Stück Holz und eine Säge, oder sie taten so, als wollten sie etwas verkaufen. Ich machte ihnen Tee und setzte mich dann auf die Veranda, um sicherzustellen, dass kein weißer Nachbar unvorhergesehen auftauchte – so konnten sie sich Zeit lassen. Es tat mir jedes Mal weh, mit anzusehen, wie diese Männer – es waren zu der Zeit immer nur Männer – die kostbaren Bücher berührten und wie sie ein Buch, von dem sie noch nie etwas gehört hatten, das sie aber ansprach, mit zarter Ehrerbietung wegen der darin verborgenen Möglichkeiten behandelten. Sie waren auf der Suche nach Bildung, die dem Großteil von ihnen vorenthalten worden war. Wenn ich durch das Fenster blickte, sah ich sie immer voller Respekt über die Bücher gebeugt, die wir als etwas völlig Selbstverständliches hinnahmen. Wir bestellten auch Bücher für sie und behaupteten, wir wüssten von einem Fonds, der Bücher für Afrikaner bezahlte. Nicht lange nach meiner Ankunft in London erhielt ich einen Brief: »Erinnern Sie sich an mich? Ich bin Soundso, Sie haben mir Bücher gegeben, und ich habe jetzt mein Examen bestanden.«
    Wer diese Funktion wohl jetzt erfüllt in einem Land, das dazu verdammt zu sein scheint, immer unter Büchermangel zu leiden? Oft ist es das British Council, das in Harare eine Bücherei unterhält, die mit Lehrbüchern, Videos und allen Arten von Unterrichtsmitteln ausgestattet ist. Sie ist ständig voll von Schwarzen, zumeist jungen Leuten, die genauso nach Bildung hungern wie die Männer, die wir zu unserer Zeit kannten. Die schwarze Regierung hat nichts getan, um Bücher zur Verfügung zu stellen oder Bibliotheken einzurichten. Auf längere Sicht wird sich herausstellen, dass dieses Versehen – es fällt einem allerdings manchmal schwer, es nicht für eine politische Maßnahme zu halten – der allerdümmste Fehler dieser Regierung war.
    Ich war damals, wenn ich auf der Veranda saß, keineswegs abgeklärt und gelassen. Ich beobachtete, wie diese anständigen, mutigen Männer das Haus verließen, einer nach dem anderen, wie sie versuchten, den Eindruck von Hausangestellten oder Boten zu erwecken, wie sie sich nervös umsahen, ob nicht vielleicht eine dumme weiße Hausfrau mit schrillen Schreien auf sie reagieren würde – und ich saß da und kochte innerlich vor Wut. Diese Art Wut ist zerstörerisch. Eine überschäumende, produktive und ungehinderte Wut geht Hand in Hand mit dem Glauben, dass man etwas tun kann, etwas verändern kann. Aber es gibt eine Wut, die einem wie Säure in den Magen schießt, die einen zu Zynismus und Handlungsunfähigkeit verdammt. Dummheit, Dummheit, Dummheit, murmelte ich mehrmals am Tag, als hätte man mir befohlen, ohne auch nur einmal zu blinzeln oder meinen Blick abzuwenden, bewusste Grausamkeiten mit anzusehen, zum Beispiel wie ein kleiner Junge einen Vogel quält. Und es war klar, dass ich diesen Kummer nicht bei Gottfried loswerden konnte, denn der hätte darauf mit einem »Nach der Revolution …« reagiert.
    Nach der Revolution in Europa: Seine Hoffnungen für Afrika hatte er begraben. »Vielleicht in hundert Jahren …«, konnte man von ihm zu hören bekommen. Die »korrekte« Devise lautete immer noch, dass nur ein schwarzes Proletariat Afrika befreien konnte. Aber es gab kein schwarzes Proletariat in dem Sinn, wie die Urväter der Theorie es definiert hatten. Es gab schwarze Minenarbeiter und ein paar Arbeiter in weiterverarbeitenden Betrieben, aber »Schwarzer Nationalismus« war schlicht und einfach eine reaktionäre Abweichung – all die anderen Adjektive dazu spare ich mir. Auf diese Formel hatte sich Moskau bei seiner »Analyse der Situation« festgelegt. Ich erinnere mich, wie Gottfried sagte, dass es den Genossen in Moskau guttun würde, einmal vor Ort in Afrika Erfahrungen zu machen.
    Dennoch gingen wir immer allen Gerüchten, Hinweisen und Anhaltspunkten nach, die sich im
Herald
oder anderswo zur Existenz von Schwarzenführern fanden. Charles Mzingele wusste von keinem einzigen. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, dass er damals seine Rolle als Onkel Tom einübte, denn obwohl er den Gedanken an einen Schwarzenführer gut fand und immer alles getan hatte, um begabte

Weitere Kostenlose Bücher