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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Sphäre. Wie zwei Regentropfen, die heruntertropfen: plitsch – platsch, und die Stille danach; plitsch – platsch, Stille. Und immer so weiter. Und weiter. Bald schien alles – die Ruine, die Landschaft, die Felsen, die dunstigen Schichten des heißen Himmels, an dem die Nachmittagswolken standen –, alles in diesen zwei Tönen aufzugehen, die sich wiederholten und wiederholten und weiterklangen und immer noch weiterklangen, als ich ein paar Stunden später wieder hinunterstieg und zum Auto kam, wo der junge Mann – das Gesicht von der Hitze gerötet – lang ausgestreckt schlief und das Baby in seinem Körbchen, sicher unter seinem mit Fliegen übersäten Netz.
    Diese beiden Töne … Ich schrieb ein Stück, in dem sie zum Auftakt gespielt wurden, und hoffte, dass die Musik, die ich für immer in meinem Kopf hören würde, irgendwie von demjenigen vernommen würde, der sie gemacht hatte. Das Stück war schlicht und einfach schamloses Agitproptheater. Zur damaligen Zeit lief in mehreren Zeitungen gleichzeitig eine Bildergeschichte mit der Karikatur eines Schwarzen als Hauptfigur, oder eher gesagt einem Kaffer oder Nigger, der alle hässlichen Rassenklischees in sich vereinigte. Sie war jahrelang jede Woche in den Zeitungen. Mein Stück spielte tief unter der Erde in den Stollen der Goldminen von Witwatersrand, und der Held, ein Bergmann, der auf seinem Gesicht die Maske dieser Kaffernkarikatur trug, organisierte mit seinen Kumpeln, die ähnliche Masken trugen, einen Streik. (Streiks am Witwatersrand wurden stets gnadenlos niedergeschlagen und bestraft.) Die Handlung war schlicht. Als sie sich gegen die Minenbesitzer, dargestellt durch einen brutalen Steiger, wehrten, lockerten sich die Masken, und als sie kapitulierten, saßen sie wieder fest, und die Bergleute bemühten sich stöhnend, sie sich von den Gesichtern zu reißen. Für den Anfang benutzte ich eine gebändigte und gemäßigte Version des Kriegstanzes der Zulus, wie sie den Touristen vorgeführt wird, aber später kehrte dieser Tanz, in seiner ungebändigten Form, als Teil des Finales, in dem die Bergleute tief unten in der Goldmine mit den Soldaten kämpften, wieder. Die Masken lockern sich, fallen ab, sind verschwunden. Mein Problem war, dass ich einen Musiker brauchte und keinen kannte, und schon mal ganz gewiss keinen afrikanischen Musiker. Ich nahm den Entwurf des Stückes mit nach England. Aber es gehörte nach Südafrika, nicht einmal nach Südrhodesien, das immer noch den Kolonialherrenattitüden anhing. Ich schickte es an Brecht und bekam von ihm einen Brief, in dem er mir mitteilte, dass ihm das Stück gefalle, dass er jedoch in der Partei für seinen Expressionismus und Formalismus und ähnliche Laster kritisiert werde und es sich nicht leisten könne, ein Stück mit Masken zu inszenieren.
    Ich zeigte das Stück Dorothy und Nathan Zelter. Sie missbilligten aus ideologischen Gründen alles, was ich schrieb. Oder nein, ein kleiner, übertrieben humorvoller Sketch, den ich mit achtzehn geschrieben hatte, fand ihr Gefallen. Eine Kurzgeschichte bekam ich meist mit der Bemerkung zurück: »Leider muss ich dir sagen, dass wir beide von dir enttäuscht sind.« An den Manuskripten hingen fein säuberlich Zettel: »Im dritten Absatz wird angedeutet, dass die Afrikaner abergläubisch sind. So etwas ist Wasser auf die Mühlen unserer Gegner.« Und zu meinem Agitpropstück: »Wir sind beide der Ansicht, dass Masken
per definitionem
reaktionär sind.«
    Als ich Nathan kennenlernte, war ich neunzehn, und er war ein junger Mann, der beinahe zu gut aussah, ein leidenschaftlicher Menschen- und Frauenfreund, und ich kannte ihn auch noch als sehr alten Mann, der wie Methusalem aussah und immer noch davon träumte, im befreiten Simbabwe eine ideale Lebensgemeinschaft aufzubauen. Diejenigen von uns, die er als Seelenverwandte dabeihaben wollte, waren längst zu dem Ergebnis gekommen, dass wir keine Gemeinsamkeiten besaßen. Es fällt mir schwer, über ihn zu schreiben, weil er – um es mit einem Wort zu sagen – grotesk war, aber schon indem ich dieses Wort wähle, fühle ich mich schuldig, wie immer bei Nathan, denn andererseits war er ein so freundlicher und so großzügiger Mensch. »Ach, verflucht, Gottfried«, jammerte ich manchmal, »nein, ich komme
nicht
mit zum Essen, er ist unmöglich.« »Ja, ja«, sagte Gottfried, »das ist wahr, aber trotzdem gehen wir jetzt beide zum Essen hin.«
    Er war vor dem Krieg als Flüchtling aus Rumänien

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