Unter der Haut (German Edition)
gekommen und arbeitete für einen Verwandten in einem Im- und Exportunternehmen. Ich hoffe, ich muss nicht mehr betonen, dass er Kommunist war. Der Left Book Club bot ihm nur vorübergehend eine geistige Heimat, dort ging es ihm zu zahm zu. Aber er lernte Dorothy kennen, eine Neue Frau, eine wahre Rarität im Salisbury der dreißiger Jahre. Sie war eine schlanke, dunkle, mädchenhafte Frau mit langen Röcken, häufig aus grünem Leinen, mit bestickten Blusen und einem Knoten im Nacken. Sie hatte kleine, blaue, ehrliche Augen, und an beiden Seiten eines intelligenten, freundlichen Gesichts schaukelten riesige, exotische Ohrringe. Sie war eine ausgezeichnete Lehrerin, die oft von Eltern zur Rechenschaft gezogen wurde, weil sie ihren Kindern fortschrittliche Ideen in den Kopf setzte. Sie rauchte billige Zigaretten in einer teuren Spitze aus Silber und Bernstein. Die Liebesaffäre zwischen diesen beiden schockierte alle. Wir lebten zwar im Zeitalter der freien Liebe, die der Falschheit konventioneller Moral ein für alle Mal ein Ende machen sollte. Aber die freie Liebe hatte sich in Salisbury noch nicht durchgesetzt. Der schöne junge Bursche, dessen goldene Augen unverwandt auf die Wahrheit gerichtet waren, und dieser Blaustrumpf von einer Frau liebten sich offen und in aller Öffentlichkeit und weigerten sich zu heiraten; sie, um ihre Mutter zu ärgern, er aus Prinzip. Er hatte jede Menge Prinzipien und hätte sich für jedes von ihnen auf dem Scheiterhaufen verbrennen lassen. Er war es, der, als ich noch mit Frank verheiratet war, eine Augustus-John-Reproduktion bei mir hängen sah, sie von der Wand zerrte und in der Mitte durchriss, nicht aus ästhetischen Gründen, sondern weil eine Frau, die Wäsche wäscht, nicht zum Thema eines Kunstwerks gemacht werden sollte. Er war es auch, der mir die liebenswerten Essays eines gewissen Lin Yutang aus der Hand nahm, als er mich bei der Lektüre erwischte, weil der Lange Marsch Chinas jahrhundertealte Geschichte außer Kraft gesetzt habe, die von nun an eine Geschichte der Bauern sein werde. Er war es, der mir, als er bei mir an der Wand einen echten, wertvollen japanischen Holzschnitt sah – den ich von meinem Liebhaber, dem Künstler, in Kapstadt bekommen hatte –, sagte, ich solle mich schämen, die Darstellung einer Kurtisane, das heißt einer ausgebeuteten Frau, zu besitzen. Als ich ihn später bat, das Bild eine Zeit lang in Verwahrung zu nehmen, hat er es vernichtet.
Ich stelle ihn mir immer als Nebenfigur in
Die Dämonen
vor. Kirilow ist allein, es ist spät. Es klopft. »Herein, Nathan.« Aber Kirilow ist so tief in Gedanken versunken, dass er seinen Besucher, der sich in einem Zustand großer Erregung befindet, kaum sieht. »Was gibt’s, Nathan? Hast du gegessen? Es ist noch Brot im Schrank.« »Nein, nein, nein, ich kann nicht essen«, sagt Nathan, wobei er geistesabwesend den Schrank öffnet, das Brot anstarrt, die Schranktür schließt. »Kirilow, ich war spazieren … Ich war die ganze Nacht draußen.« »Der Mond scheint«, sagt Kirilow. »Ich habe ihn vorhin gesehen. Glaubst du, dass der Mond bewohnt ist, Nathan? Und wenn ja, ist er voll von Würmern und Verbrechern wie uns? Was meinst du?« »Nein, nein«, flüstert Nathan, die Tränen laufen ihm über das Gesicht. »Es ist mir gerade etwas aufgegangen. Deshalb bin ich gekommen. Um dir das zu sagen. Sehr bald wird das Leben wunderschön sein! Das Ende aller Verbrechen … das Ende der Grausamkeit … keine Armut mehr und keine hungrigen Kinder.« »Glaubst du? Ich habe das früher auch geglaubt«, sagt Kirilow träumerisch. »Kirilow«, sagt Nathan und schenkt sich Kwass in ein schmutziges Glas, »ich bin so glücklich, so überglücklich …«
Nathan war möglicherweise aus Prinzip aus der Kommunistischen Partei ausgetreten und dadurch ein kraftloser, abwartender Sozialdemokrat geworden, ein Speichellecker der herrschenden Klasse und so weiter und so fort, aber er kam regelmäßig zu unseren Treffen. Und wenn er uns auf der Straße traf, begrüßte er uns mit den Worten: »Nathan, der Verräter, grüßt euch. Habt ihr Lust, Donnerstag zu uns zum Abendessen zu kommen?« Er bewunderte Gottfried oder, besser gesagt, seine Intelligenz. Dieser arme Junge aus einem Elendsviertel in Bukarest konnte dem reichen Berliner Jungen nicht vergeben, und noch als er ein sehr alter Mann war, kam es vor, dass er sagte: »Er zog ein Haarnetz über, wenn er sich anzog. Das habe ich selbst gesehen.« Und ich entgegnete
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