Unter der Haut (German Edition)
während das Wasser durch sie hindurchläuft. Von den ursprünglichen Mitgliedern blieben Gottfried, Nathan und ich übrig. Nathan war allerdings in der Labour Party politisch aktiv. Verschiedene Flüchtlinge, die als Kommunisten angefangen hatten, waren mit zunehmendem, persönlichem Erfolg liberalen Ansichten nähergerückt. Charles Mzingele und seine Freunde schauten vorbei, wann immer sie konnten, aber eigentlich ging es ihnen um Bücher und Informationen. Es gab noch einige andere, die ich aber nicht erwähnt habe, es könnte nämlich sein, dass sie sich an ihre revolutionäre Vergangenheit nicht erinnern möchten.
Ein junger Mann tauchte bei uns auf, der für verärgerte und empörte Blicke sorgte, wenn wir mit ihm durch den Park spazierten, in ein Restaurant gingen oder auf der Straße unterwegs waren. Er war schmächtig, braun gebrannt, trug dünne, weiße, sehr kurze Shorts, goldene Sandalen und Ohrringe, und seine blonden Haare reichten ihm bis auf die Schultern. Heutzutage würde sich niemand mehr nach ihm umsehen, aber er war der Vorbote einer langen und kunterbunten Ära. Er war intelligent und belesen, verstand etwas von Musik, konnte es nicht einen Tag ohne uns aushalten und war mehr als nur ein bisschen verrückt. Er lebte allein in einem möblierten Zimmer, über dessen elektrische Lichtleitungen ihm der KGB , der seine Gedanken kontrollierte, Botschaften übermittelte. Ich hatte noch nie jemand Vergleichbaren kennengelernt, war fasziniert und jederzeit bereit, mir die neuesten Verlautbarungen aus Moskau anzuhören. Es war mein Schicksal, dass ich immer wieder mit Menschen zu tun hatte, die auf die eine oder andere Weise exzentrisch waren. Schon zehn Jahre später war es für mich kein Problem mehr, die passende Antwort zu geben, wenn jemand beiläufig erwähnte, dass er durch die Glühbirne vom KGB oder von der CIA überwacht werde: »Ach du meine Güte, bist du dir sicher? Na, mach dir nichts draus.«
Dieser Mann tauchte jeden Abend auf, verputzte alles, was ich gekocht hatte, saß dann da, tippte mit seinem in einer goldfarbenen Sandale steckenden Fuß auf den Boden und wartete auf den Moment, in dem das Gespräch sich ihm zuwenden würde, was nie lange dauerte, denn jeder von uns schien unbedingt seine eigenen Anekdoten über Geisterhäuser, Tischerücken und Medizinmänner beisteuern zu wollen. Kurt zog es unwiderstehlich zu uns. Das Mädchen, das unglücklich in Gottfried verliebt war, und ihre unzertrennliche Freundin waren immer bei uns. Menschen, die wir monate- oder jahrelang nicht gesehen hatten, kamen wieder. Wir trugen einander Gedichte aus jener berauschenden Zeit in Russland vor, in der die Revolution, personifiziert als wilde Reiter, mystische Mönche und Sibyllen, dreißig oder noch mehr Jahre zuvor in Moskau und Leningrad die Gemüter erhitzt hatte. Jeder, der einmal in Afrika gelebt hat, weiß etwas über Zauberei und Schamanentum. Die Erfordernisse des Klassenkampfs hatten nie Hinweise auf den Glauben an höhere geistige Mächte laut werden lassen, doch nun zeigte sich deutlich, dass der Glaube an das Okkulte bei allen noch stärker war als der an den Sozialismus. Vom Sozialismus und Kommunismus aus war es nie mehr als ein kleiner Schritt zum Mystizismus, und das vielleicht deutlichste Beispiel dafür lieferte Annie Besant, die anfangs die Zündholzverkäuferinnen organisierte und am Ende zur Künderin des Krischnamurti wurde.
Die Phase, in der der Mystizismus bei uns populär war, dauerte nicht lange. Nach dem Geplauder über Séancen und Geister musste als nächster Schritt die praktische Anwendung folgen. Irgendwer hatte von einem Medium erfahren, und etliche Leute drifteten von uns weg, um aufregendere Abende zu erleben.
Man kann nicht behaupten, dass es häufig zu einer »Analyse der Situation« gekommen wäre. Gottfried lebte im Geiste bereits in London. Und ich auch. Heute glaube ich, dass der einzige wirkliche Nutzen, den wir für die Schwarzen hatten – mit »wir« meine ich hier die sogenannten Progressiven –, darin lag, dass wir unsere Bücher an jeden verliehen oder verschenkten, der nach ihnen fragte. Charles brachte Freunde mit, die wieder andere Freunde mitbrachten, und bevor sie sich noch gesetzt hatten, wanderten ihre Blicke bereits zu unseren Bücherregalen. Sie waren nicht ganz einfach zu organisieren, diese Besuche bei uns zu Hause, denn Book, unser Hausdiener, durfte auf keinen Fall von ihnen erfahren. Er hätte sofort im ganzen Viertel ausposaunt,
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