Unter der Haut (German Edition)
seine Kommentare dazu abgab, genau wie er, mein Mitschuldiger: »Du bist verrückt«, sagte er. »Hör sofort damit auf.« Man kann – Frauen können – leichthin oder auch ernster sagen: »Mutter Natur hat uns fest im Griff«, aber es muss erst eine Erfahrung wie diese kommen, um uns zu zeigen, wie gnadenlos diese Notwendigkeit ist. Es war Zeit, dass ich wieder ein Baby bekam. Sagte die Stimme der Natur.
Etwa um diese Zeit ging ich wegen eines ziehenden Schmerzes im Rücken zum Arzt, der mir mitteilte, dass ich eine rückwärtsgeneigte Gebärmutter hätte, die angenäht werden müsse, und während er das tue, könne er mir auch gleich den Blinddarm herausnehmen, der zu nichts nütze sei. Er empfahl mir ebenfalls, mir die Eileiter abbinden zu lassen, »wenn ich Sie schon mal aufgeschnitten habe«. Er gab mir achtundvierzig Stunden Bedenkzeit. Gottfried meinte, es könnte sein, dass ich wieder heiraten und mit meinem neuen Mann Kinder haben wolle. Aber das war ja, obwohl er das überhaupt nicht verstand, gerade das Problem. Ich wusste genau, dass ich mich bis zum Ende der Wechseljahre mehrmals verlieben und jedes Mal ein Kind bekommen würde. Meine innerste Natur war gegen mich,
meine
Natur im Bündnis mit Mutter Natur. Hier wurde mir dagegen die Möglichkeit geboten, mit fast hundertprozentiger Gewissheit auszuschließen, dass ich als alte Ziege mit einer riesigen Kinderschar enden würde. Ich war fasziniert davon, dass Dr. Rosen dies hatte voraussehen können. Dieser gutherzige jüdische Familienvater konnte kaum viel von einer Frau halten, die einen Mann und zwei Kinder verlassen hatte, nur um fast unmittelbar darauf wieder von vorne anzufangen. Seine Motive interessierten mich nicht. Er hatte mir zu dem wahrscheinlich Vernünftigsten geraten, was ich je in meinem Leben getan habe. Ein tief vergrabener Selbsterhaltungstrieb setzte sich durch. An die praktischen Auswirkungen für mein Sexualleben dachte ich dabei nicht, denn an meinem Sexualleben war, wenn man ihm eine Chance bot, nichts auszusetzen.
Als man mich in den Operationssaal schob, hatte ich den Eindruck, dass ich mich auf dem Totenbett genauso fühlen würde, nicht wegen der Operation, vor der ich keine Angst hatte, sondern weil man mich rasiert und wie eine Leiche festgebunden hatte. Meine Haare band mir eine achtzehnjährige Krankenschwester mit dem frischen, plumpen Gesicht eines zwei Monate alten Säuglings unter eine Haube zurück. Zum ersten Mal leuchtete mir ein, warum achtundzwanzigjährige Frauen in Romanen aus dem neunzehnten Jahrhundert als alt beschrieben werden konnten.
Als ich mich nach der Operation ausruhte, lag neben mir eine ebenfalls von Dr. Rosen operierte Frau, auch erst wieder halb bei Bewusstsein, und schimpfte eine halbe Stunde oder länger hysterisch auf die Juden und vor allem auf Dr. Rosen, der sich gerade in der Nähe aufhielt. Ich hatte noch nie in meinem Leben etwas gehört, das sich mit diesem Schwall von Verunglimpfungen aus dem Munde einer konventionellen rhodesischen Hausfrau hätte vergleichen lassen. Gut zwanzig Frauen lagen in ihren Betten und hörten sich ihr Gegeifer schweigend an. Hinterher sagte ihr eine Krankenschwester, dass sie »hässliche Dinge« über Dr. Rosen gesagt habe. Es war ihr peinlich, und sie sagte bei seiner Visite: »Ich fürchte, ich war unverschämt zu Ihnen. Entschuldigen Sie bitte.« Er sagte mit ernster Miene, dass Patienten, die aus der Narkose kämen, oft Dinge sagten, die sie nicht meinten. Und ging seiner Wege. Aber warum hatte sie sich einen jüdischen Arzt ausgesucht, wenn sie so dachte? Sie wusste nicht, dass in ihrem Innern dieser schmutzige Quell wohnte, wie Kot, in dem die Cholera sitzt.
Kapitel Zwanzig
Jede Gruppe, egal welcher Art und egal wie sie zusammenfindet, entwickelt sich mit der Zeit zu einer religiösen oder mystischen Gemeinschaft. Das behaupten jedenfalls die Psychologen.
Unsere Gruppe begann als Ansammlung von Linken aus allen Teilen Europas, wurde für einige Zeit streng kommunistisch – zumindest theoretisch –, und als sie das nicht mehr war, übernahm sie zunehmend Aufgaben der Fürsorge und der Wohlfahrt.
Man könnte behaupten, dass es die letzten paar Jahre, bevor wir das Land verließen, gar keine Gruppe mehr gab. Dem würde Gottfried sicherlich zustimmen. Aber kann man von einer Gruppe nur dann sprechen, wenn ihre Zusammensetzung im Lauf der Zeit unverändert bleibt? Unsere Gruppe ähnelte mehr einer stehenden Welle, die ihre Form beibehält,
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