Unter der Haut (German Edition)
einführt und es dann auch noch amüsant findet? Es über Jahrzehnte hinweg amüsant findet? Armes England, aber es hat keinen Sinn, darüber zu jammern, denn offenbar lässt sich nichts dagegen tun.
Während meines Aufenthalts in dieser Pension begriff ich, wie eingeschränkt meine Bewegungsfreiheit in Zukunft sein würde, mit dem wenigen Geld und einem kleinen Kind. Da war ich nun im bezaubernden, schönen und, wie ich erfahren hatte, »bohemehaften« Kapstadt, aber fand nur mit Mühe die Zeit, aus der Pension herauszukommen und mich in die Schlange vor dem Schifffahrtsbüro einzureihen. Von der Geburt des Kindes an war mein Mann ihm ein guter Vater gewesen, ich hatte Freunde, die sich um das Vergnügen des Babysittens geradezu gerissen hatten, und meine Mutter hatte das Gefühl gehabt, dass sie gar nicht oft genug zum Einsatz gebeten wurde. Und ich hatte einen Bediensteten gehabt. Nun war ich auf mich allein gestellt. Aber weder damals noch später hatte ich je das Gefühl, dass ich einen Fehler machte. Vermutlich ist das eine Frage des Temperaments. Ich fand es immer dumm, mir zu sagen: Ach, warum habe ich das nur getan? Aber ich habe auch nie das abenteuerliche Leben geführt, von dem ich geträumt hatte, habe nie das wilde Afrika oder die Wüste Gobi erkundet, habe mich nie an den Küsten des Mittelmeers herumgetrieben und habe nie das Leben in den Cafés von Paris genossen. Die Tatsache, dass ich ein kleines Kind hatte, legte automatisch definitive Grenzen fest. Ich hatte vor, meinen Lebensunterhalt durch Schreiben zu verdienen, was mir auch gelang, aber trotzdem lebte ich einige Zeit an der Armutsgrenze: Erst als ich schon zehn Jahre in London war, erreichte ich mit dem, was ich verdiente, den Durchschnittslohn eines Arbeiters. Ich kam nie auf die Idee, das zu bedauern, da auch alle meine Bekannten arm waren. Heutzutage sprechen junge Schriftsteller zuallererst von Vorschüssen und Absicherung, aber wir waren damals anders, vielleicht aufgrund des Krieges. Wir wollten schreiben, wollten aus eigenen Stücken Erfolg haben, wollten unsere Unabhängigkeit und Privatsphäre bewahren. Heute gelingt das keinem Schreibenden mehr, denn unsere Persönlichkeit, unsere Geschichte, unser Leben gehört der Werbemaschinerie.
Ich brauchte lange, sehr lange, um etwas zu begreifen, das im Grunde offensichtlich war. Das Kind – in den Augen anderer Menschen meine »Bürde« – war das, was mich rettete. (Aus diesem Grund hat mir Margaret Drabbles erster Roman,
Der Mühlstein
, so gefallen.) Wäre ich alleine nach London gekommen, wäre es mir folgendermaßen ergangen: Soho war damals ein attraktiver, um nicht zu sagen verführerischer Ort. Ich hätte schon sehr bald meinen Weg dorthin gefunden. Zum dritten Mal in meinem Leben wäre ich das neue Mädchen in einer Clique gewesen. Und diese spezifische Subkultur war gar nicht nett zu Frauen. Mädchen wurden vernascht wie Schokoladenbonbons. In Daniel Farsons Buch
Soho in the Fifties
kommen Frauen kaum vor. Die Fotos von Nina Hammett, einst eine Schönheit und ernst zu nehmende Künstlerin, sagen alles: Der Betrachter sieht eine alte, betrunkene, zügellose Frau, die um einen Drink oder ein Almosen bettelt. Anfang der sechziger Jahre kam Elizabeth Smart, eine von Daniel Farson beschriebene Soho-Bewohnerin, einmal zu mir zum Mittagessen. Sie trank und weinte ohne Pause von mittags bis sieben Uhr abends und machte grausame Witze über ihr eigenes Leben und das Leben von Frauen im Allgemeinen. Ich würde sie nicht gerade als Werbung für Sohos
joie de vivre
bezeichnen. Von den ständigen Bewohnern dieses Viertels hatte nur Francis Bacon Erfolg. Daniel Farson blieb nicht dort wohnen. Es gab einen ganzen Haufen talentierter Leute, aber die meisten tranken und redeten ihre Begabung nur zu Tode: Sie vergaßen die ganze Welt nur für ihr Geschwätz. (Es gibt schlechtere Gründe, sie zu vergessen.) Das momentane Gegenstück, der Groucho Club mit seiner geschniegelten Boheme, gefährdet genauso viele Talente, aber die Unterhaltung war in den alten Clubs besser. Das war auch die Attraktion des Mandrake, des Gargoyle, des French Pub, des Colony. In all diese Lokale wurde ich – jeweils einmal – eingeladen, und zwar von dem Schriftsteller John Somerfield, der meinte, dass ich wissen müsse, wie die andere Hälfte lebe. Für mein Empfinden waren sie ziemlich heruntergekommen, aber die Atmosphäre kam mir bekannt vor, und ich spürte ihre Anziehungskraft. Die Leute dort waren alle
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