Unter der Haut (German Edition)
beisteuern.
Es war immer noch nicht einfach, einen Platz auf einem Schiff zu bekommen, und schon gar nicht von Rhodesien aus. Ein Freund von Gottfried aus Johannesburg kam mehrere Male zu Besuch. Er war reich. Er gab uns den Rat, unser kleines Häuschen aufzugeben und die Miete zu sparen. Ich sollte in seinem Haus wohnen, bis es uns gelänge, einen Platz auf einem Schiff zu ergattern. Gottfried sollte bei Freunden von uns wohnen. Und so geschah es auch. Endlich verließ ich Salisbury: Leb wohl, Leb wohl. Ich konnte
weg –
und dann war ich in Johannesburg in einem großen Haus in demselben reichen Vorort, in dem ich schon 1937 einmal gewohnt hatte: Wachhunde, vergitterte Fenster, Nachtwächter, Wohlstand. Nur dass ich diesmal bei Kommunisten wohnte und nicht bei einem hohen Tier von der Bergbaukammer. Im Lebensstil gab es allerdings keinen Unterschied.
Die Nationalisten waren an der Macht, und etliche frühere Kommunisten schwebten in tausend Ängsten, vergruben ihre Bücher und trafen sich nur mit besonderen Vorsichtsmaßnahmen. Die Atmosphäre unterschied sich – gelinde gesagt – sehr von der überschwänglichen Zuversicht noch zwei Jahre zuvor.
Eines Tages schreibe ich vielleicht ein Büchlein mit dem Titel
Reiche Leute, die ich gekannt habe.
Darin werden die Mitglieder der Familie, bei der ich damals lebte, alle ganz groß rauskommen. Er, der Mann, machte Szenen wegen ein paar Pence zu viel für ein Pfund Tomaten, während seine Frau versuchte, darüber zu lachen. Er bestand darauf, dass mit dem Auto zu einem meilenweit entfernten Markt gefahren wurde – nur weil das Gemüse dort geringfügig billiger war. Sie war eine waschechte Cockney vom berühmten Unity Theatre in London, das zu der Zeit, als der Kalte Krieg die schlimmsten Blüten trieb, für sein politisches Kabarett und seine linken Stücke berühmt war. Viele hervorragende Schauspieler und Schauspielerinnen verdienten sich ihre Sporen am Unity Theatre, das später an Glanz verlor, weil Ende der fünfziger Jahre und in den Sechzigern der Sozialismus wieder in Mode kam und das Unity Theatre seine besondere Position einbüßte. Heutzutage kann man niemanden mehr als eine oder einen Cockney beschreiben. Das hübsche, kecke, pfiffige, kleine Cockney-Mädchen, wo ist es geblieben? Früher hat man es in Büchern und Theaterstücken (in
Pygmalion
zum Beispiel) schon beim ersten Wort erkannt. Falls es dieses Mädchen noch gibt, dann verkörpert es heute keinen einschlägigen Typus mehr. Das Cockney-Mädchen in dem Haus, wo ich damals lebte, inzwischen eine reiche Frau, wurde schier verrückt vor Langeweile – genau wie die Frau in dem anderen Haus. Außerdem war sie fast verrückt vor Eifersucht, vor Eifersucht auf mich. Ich bekam Telefongespräche mit, die sie mit ihren Freundinnen führte – und ich sollte sie wohl auch mitbekommen –, bei denen sie jedes Mal schrie: »Und sie ist hier, in diesem Haus.« Erst nach und nach dämmerte mir, dass sie mich meinte. Ich war gar nicht auf den Gedanken gekommen, mich in ihren Mann zu verlieben, ich hatte wirklich reichlich andere Sorgen. War er in mich verliebt? Wenn ja, dann hätte man das Ganze wohl nur als allerzaghafteste Schwärmerei bezeichnen können. Türen wurden zugeknallt, Telefone schrillten, Mann und Frau schrien sich an. Ich erklärte, ich würde sofort abreisen, sie sagten, das sei Unsinn und ich müsse bleiben, aber sie hörten nicht auf, sich gegenseitig Vorwürfe zu machen. Ich wusste noch nicht, wann mein Schiff in Kapstadt eintreffen würde. Ich reservierte zwei Schlafwagenplätze für den Zug nach Süden, doch bevor ich diese mir zutiefst unsympathische Stadt verließ, kam es noch zu zwei wichtigen Begebenheiten. Zum einen nahm mich ein junger Medizinstudent an einem Samstagabend in eine Klinik mit, die kostenlose medizinische Versorgung anbot und in einer Schwarzenvorstadt lag. Jeden Freitag- und Samstagabend füllte sich der große, kahle und ärmlich ausgestattete Raum mit den Opfern von Messerstechereien. Ich saß auf einem Hocker in einer Ecke und sah stundenlang zu, wie blutüberströmte, betrunkene schwarze Männer hereintorkelten oder auf Tragen hereingebracht wurden, ihre Körper über und über mit Messer- und Buschmesserwunden verunstaltet. Die Folgen von Stammeskämpfen. Manche Wunden waren ganz scheußlich. Einige Männer starben. Vier Jahrzehnte später lernte ich einen jungen weißen Arzt aus Johannesburg kennen, der mir erzählte, dass er seine Wochenenden in einer
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