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Unter der Haut (German Edition)

Unter der Haut (German Edition)

Titel: Unter der Haut (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Lessing
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Haareschneiden, mit allem, was sich ihnen irgendwie bot. In allen europäischen Städten wimmelte es von Menschen wie Moidi. Als ich ihr erzählte, dass Gottfried auf eine offizielle Antwort auf seinen offiziellen Antrag wartete, lachte sie nur und sagte, dass er keine Ahnung vom Kommunismus habe. Er solle sich mit einem zeitlich begrenzten Besuchervisum nach Berlin durchschlagen und dann vor Ort versuchen, alle Hebel in Bewegung zu setzen. Er habe doch Verwandte in wichtigen Positionen? Ich gab diese Information an Gottfried weiter. Daraufhin wurde er von heftigem Zorn, gepaart mit abgrundtiefer Verachtung, gepackt. All seine Angst und seine Verunsicherung hatten aus ihm einen noch überzeugteren Kommunisten gemacht, er war noch engstirniger, argwöhnischer und paranoider geworden. Er erklärte, er sei nicht daran interessiert, sich antisowjetische Propaganda anzuhören – das war die Redewendung, mit der man damals selbst auf die allersanfteste Kritik am Kommunismus reagierte. Er wartete. Moidi sagte: »Wenn er sich einmal mit mir trifft, erzähle ich ihm, was es mit dem Kommunismus in Wirklichkeit auf sich hat.« Zuerst schlug er das Angebot aus, doch die Zeit verging, und er wartete immer noch darauf, dass endlich der Postbote mit dem lang ersehnten Schreiben auftauchte. Ich lud die beiden zu einem Abendessen ein. Die Atmosphäre bei diesem Zusammentreffen war denkbar gespannt, noch gespannter als damals, bei dem Abendessen, als ich den Freudianer und die Mitglieder der sowjetischen Außenhandelsdelegation zusammengebracht hatte.
    Moidi war eine rundliche, überschwängliche, extrovertierte, spottlustige, amüsante Frau, eine schillernde Persönlichkeit, die sich zurechtmachte wie eine Zigeunerin – ein Stil, der immer praktisch ist, wenn man kein Geld hat. Sie gehörte zu der Sorte Frauen, zu der sich Gottfried wohl am wenigsten hingezogen fühlte. Er saß elegant wie immer da und sah aus wie ein Diplomat, perfekt vom Scheitel bis zur Sohle. Er rührte sein Essen nicht an, während Moidi genüsslich speiste und ihm erzählte, wie es im Kommunismus zuging. Daraufhin überschüttete er sie mit sämtlichen kommunistischen Schimpfwörtern: antisowjetische Propaganda, Lakaien, feige Hunde, Schakale und so weiter und so fort. Als Moidi ihm vorwarf, keinen blassen Dunst vom Kommunismus zu haben, entgegnete er, dafür wisse er nur allzu gut, was er von ihr und Leuten ihres Schlages zu halten habe. Moidi verabschiedete sich lachend. Als er ging, warf er mir vor, ich sei von imperialistischer, kapitalistischer Klassenideologie verseucht. Er war sehr, sehr wütend. Ich hatte ihn noch nie so gesehen, und fast fürchtete ich mich vor ihm. Doch nach dem Ergebnis zu urteilen, war die Begegnung ein Erfolg gewesen, denn nur wenige Tage später berichtete er mir, dass er ein Visum zum Besuch bei seiner Schwester beantragt habe, und dort wolle er dann »sehen, was zu machen ist«. Moidi erwähnte er nie wieder mit einem Wort. Er meinte, wenn er erst in Berlin wohne, könne Peter die Ferien bei ihm verbringen. Ich sagte, es sei nicht gut, wenn er etwas anfinge, das er nicht zu Ende bringen könne: Immerhin hatte Moidi gesagt, er sei verrückt, wenn er annähme, er könne seine Kontakte im Westen beibehalten, darauf stünden der Tod und noch schlimmere Strafen. Leute mit westlichem Hintergrund oder Westkontakten seien immer verdächtig. Ich versuchte ihre Botschaft an Gottfried zu übermitteln, er reagierte mit Beleidigungen.
    Es war ein kalter, trüber, grauer Tag, als wir uns, das heißt ich, das Kind und Dorothy Schwartz, am Bahnhof von ihm verabschiedeten. Er sah schon vor dem Einsteigen fremd aus, exotisch, mit seiner Persianermütze.
    Gottfried bekam eine Stelle beim Kulturbund. Der »Witz« war, dass die Kommunisten, die Hitler nicht ermordet hatte, und das waren nur wenige, jetzt auf gute Stellen rutschen konnten. Und nicht nur Kommunisten: Leute, die die kommunistische Hierarchie in Berlin nur in ihrer späteren Form kannten, wären wahrscheinlich überrascht, wenn sie hörten, wie offen und flexibel es in der ersten Zeit zuging. Ein in London arbeitender deutscher Geschäftsmann wurde, als er geschäftlich drüben war, zu einem Treffen mit lauter hohen Tieren eingeladen, die ihn aufforderten, nach Berlin zu kommen und beim Wiederaufbau Deutschlands zu helfen. Er entgegnete, dass er kein Kommunist sei und sich nicht für Politik interessiere: Sie sagten, das sei egal, sie brauchten fähige Leute. Aber das war noch,

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